Lois Weinberger – Debris Field
17.4.-1.9.2019

FRÜHER. die scheunenwand war übersät mit ausgeschnittenen öffnungen in form von lebensbäumen. luftlöcher. als das kind mit dem kopf hindurch kam sah es auf der strasse die neophyten in ihren weissen gewändern auf dem weg zum versprochenen geheimnis.

Lois Weinberger: «in der geographie von hirsch und maulwurf», 2019

Lois Weinberger - Debris Field

Das Werk Debris Field (2010–2016), welches das Museum Tinguely vom 17. April bis 1. September 2019 zeigt, veranschaulicht Weinbergers vielfältige Herangehens- und Ausdrucksweisen. Diese künstlerisch-archäologische Forschungsarbeit erkundet und vermittelt auf faszinierende Weise Relikte aus der mehrere Jahrhunderte zurückreichenden Geschichte des von Weinbergers Familie bewirtschafteten Bauernhofes. Der dem Kloster Stams assoziierte Hof spiegelt die Geschichte ihrer wechselseitigen Einflüsse. Er bewahrte und erzählt Geschichten der Frömmigkeit, des Aberglaubens und des kargen, entbehrungsreichen Lebens zwischen klösterlicher Hochkultur und Verhaltensweisen, die dem späten Mittelalter verbunden waren. Debris Field hat die Form einer Ausgrabung, die sich in den sedimentierten Zeitschichten der Dach- und Zwischenböden vollzieht. Durch den fehlenden Kontakt mit Erde und Feuchtigkeit hat sich in dieser «Archäologie des Behausten» ein wunderkammerähnlicher Reichtum als staunenswerter Kosmos des bäuerlichen Lebens erhalten, der eine tiefere Einsichtnahme in den Alltag ermöglicht.

Der Dachboden meiner Eltern war in meiner Kindheit ein Ort ohne Licht aus dem Nachts undefinierbare Geräusche kamen.

Lois Weinberger,
Notiz im Arbeitsheft zu
Debris Field

Lois Weinberger, Debris Field, 2010–2016,
Dachbodenfunde, Elternhaus Stams in Tirol,
14. bis 20. Jahrhundert,
Foto: Paris Tsitsos © Studio Weinberger

Lois Weinberger, Ohne Titel, 2014, Katzenmumie,
18. Jahrhundert, Fotoarbeit, 60 x 90 cm,
Foto: Paris Tsitsos © Studio Weinberger

Apotropäisch (Unheil abwehrend)

Zu den faszinierendsten Relikten zählen Funde, die ihren Ursprung in volkskulturellen Ritualen zur Abwehr von Unheil haben. Solche parareligiösen, apotropäischen Objekte, zum Beispiel Tierschädel, Hundepfoten, eine Katzenmumie oder im Zwischenboden aufbewahrte Einzelschuhe von Verstorbenen, behaupten sich in ihrer unmittelbaren Kraft neben vermittelten Zeugnissen des christlichen Glaubens wie heilige Schriften, Ablassbilder und Beichtzettel, Pilgerzeichen oder Reliquienbehältnisse.

Lois Weinberger, Debris Field, 2010–2016, Dachbodenfunde, Elternhaus Stams in Tirol,
14. bis 20. Jahrhundert,
Foto: Paris Tsitsos © Studio Weinberger

Das Dazwischen

Weinberger betrachtet das Haus als Archiv des Lebens und die Relikte als Marginalien, die das Eigentliche des Archivs, seine Lücken, definieren. Diesen essenziellen Lücken und ihren Erinnerungsräumen verleiht er mit poetischen Arbeiten Ausdruck und bildet den Alltags-Surrealismus mit Objekten, Zeichnungen, Texten und Fotoarbeiten ab. In assoziativen, spielerisch-animistischen Inszenierungen entstehen Umwertungen, in denen für die klassische Archäologie Unbedeutendes miteingeschlossen wird. So etwa von Mäusen für den Nestbau zerkleinerte Zeitungsschnipsel, die wiederum von Silberfischchen rund um die Druckerschwärze der Buchstaben angefressen sind.

Jean Tinguely und Lois Weinberger

«Lois Weinberger – Debris Field» ist die dritte Ausstellung in einer Reihe, die den Dialog mit Jean Tinguelys Mengele-Totentanz (1986) sucht und die Vielschichtigkeit dieses späten Hauptwerkes hervorheben will. Zur Eröffnung des neueingebauten Ausstellungsraumes richtete die erste Ausstellung mit Jérome Zonder 2017 die Aufmerksamkeit auf den Aspekt der Totalitarismus-Kritik, die zweite mit Gauri Gill widmete sich 2018 den Themen Memento mori und Totentanz. Die dritte Schau mit Weinberger eröffnet einen Dialog rund um die unterschiedlichen Bauernhof-Biografien, die den zwei Werken jeweils als materielle Quelle dienten.

 

Diese Ausstellung wurde kuratiert von Direktor Roland Wetzel.

Lois Weinberger, Debris Field, 2010–2016,
Dachbodenfunde, Elternhaus Stams in Tirol, 14. bis 20. Jahrhundert,
Foto: Paris Tsitsos © Studio Weinberger

Rebecca Horn. Körperphantasien
5. Juni – 22. September 2019