Jean Tinguelys
Installation Cenodoxus
Isenheimer Flügelaltar.
Das entblösste Skelett des
Jesuitentheaters

Jean Tinguelys
Installation Cenodoxus
Isenheimer Flügelaltar.
Das entblösste Skelett
des Jesuitentheaters

Jenny Körber

Im Jahr 1972 kam der Künstler Jean Tinguely mit dem Theaterstück Cenodoxus des Jesuiten Jakob Bidermann (1578–1639) in Berührung. Der Schriftsteller Dieter Forte und der Regisseur Werner Düggelin waren mit einer Inszenierung der Comico-Tragoedia für die Salzburger Festspiele beauftragt worden und baten den Künstler um den Entwurf des Bühnenbilds und der Kostüme für das Schauspiel.1 Knapp zehn Jahre später inspirierte das Theaterstück Bidermanns Tinguely zu einem neuen Kunstwerk: Im Jahr 1981 entwarf er eine kinetische Installation aus Eisenrahmen, Rädern, Federn, Glühlampen und Tierschädeln und gab ihr den Titel Cenodoxus Isenheimer Flügelaltar (Abb. 1).

 

Während die Forschung insbesondere die monströsen Figuren und den Vergänglichkeitsimpetus Matthias Grünewalds (um 1480–1530) in Tinguelys Altar wiedererkannte, wurde die Verbindung zum barocken Schauspiel Bidermanns weitestgehend ausser Acht gelassen. Stellte man diesen Zusammenhang doch her, so wurde stets auf die vom Humanismus geprägte Figur des Cenodoxus verwiesen, die sich als eine Art Neuauflage des Doktor Faustus gegen die Autorität der Kirche erhob und deren rebellisches Gemüt man in der Installation Tinguelys durscheinen sah.2 Aber sowohl die Reduktion auf das Monströse und Vergängliche als auch die Interpretation einer pauschalen Absage an den Katholizismus wird der Maschinenplastik nicht gerecht. Bereits die parallele Titelgebung von Cenodoxus und Isenheimer Flügelaltar belegt, dass sich Tinguely hier auf eine andere Weise mit dem jesuitischen Schauspiel befasste, als er es noch mit seinen Bühnenbildern für die Inszenierung Dieter Fortes getan hatte.3 Der Cenodoxus-Altar offenbart mehr als die moderne Interpretation vormoderner Vanitas- oder Memento-mori-Darstellungen, die weitestgehend als eine Auseinandersetzung des Schweizer Künstlers mit dem Tod verstanden wurde.4 Vielmehr stellt Tinguely mittels Überformung, Neuinterpretation und Verkehrung von traditionellen Bildformeln und Zeichengefügen dar, wie Kunst über theatrale Mechanismen kontrolliert wirksam wird und Einfluss auf die menschliche Wahrnehmung nehmen kann.

 

Voraussetzung für ein solches Verständnis ist, dass man sowohl die Bedeutung des Altars Grünewalds als auch das Theaterstück Bidermanns für Tinguelys Installation gleichwertig in den Blick nimmt und hierbei vor allem das Scharnier zwischen den beiden vormodernen Werken betrachtet. Denn das jesuitische Schauspiel und der Isenheimer Altar haben einen gemeinsamen Nenner: den Wüstenvater Antonius Abbas und das über seine Lehre überlieferte Phantasmen- und Dämonenverständnis, dem die Jesuiten in ihrem Ordenstheater Gestalt verliehen. Es ist jene Bezugnahme auf das phantasmatische Erbe in den Medien der Gesellschaft Jesu, die in der Neuinterpretation Tinguelys gespiegelt wird und die als das verbindende Element zwischen den vormodernen Kunstwerken und der modernen Installation verstanden werden kann. Um dies näher auszuführen, sei zunächst der Cenodoxus Jakob Bidermanns und seine Verbindung zu den Dämonen und Phantasmen des Antonius genauer beleuchtet.

Abb. 1 Jean Tinguely, Cenodoxus Isenheimer Flügelaltar, 1981, Metallrahmen 3-teilig, Holz- und Metallräder bzw. -elemente, Tierschädel, Glühbirnen, Federn, Elektromotoren 220 V, 310 × 408 × 260 cm, Helvetia Kunstsammlung

Jakob Bidermanns Cenodoxus (1602)

Die Legende des Heiligen Bruno, Gründer des Kartäuserordens, war der erste Stoff, der den Jesuiten Jakob Bidermann zur Anfertigung eines Theaterstücks inspirierte. Jedoch überbrachte man ihm kurz vor der Fertigstellung des Manuskripts die Nachricht, dass ein Schauspiel über das Leben des Heiligen bereits zum wiederholten Male in der Schweiz aufgeführt worden war. Eine erneute Inszenierung der Heiligenlegende war für den jungen Bidermann ausgeschlossen. Anstatt traditionell die Vita Brunos zu erzählen, entschloss er sich dazu, den Stoff anders anzugehen.5 In das Zentrum des Geschehens stellte er nicht den Heiligen aus Köln, sondern das schreckliche Schicksal eines anonymen Doktors von Paris, das der Legende nach der Auslöser für Brunos Weltflucht gewesen sein soll. Bidermann versah den Gelehrten mit einem Namen, der zugleich zum Titel des Schauspiels erkoren wurde: Cenodoxus.

 

Im Stück wird besagter Doktor zu einem in vielen Wissenschaften bewandten Mann, der von seiner Umwelt als Heiliger angesehen wird. Und das gefällt ihm ganz gut. Die Stadtbewohner suchen ihn auf, um von ihm Lehre und Rat, aber auch Gnade und Absolution zu erlangen. Selbstbewusst führt er sich persönlich bei seinem ersten Auftritt in der 3. Szene des 1. Aktes mit folgenden Worten ein: Doct. «Mit Fingern zaiget man auff mich / Vnd jederman verwundert sich. Ey / sagen sie / das ist der Mann / Den die gantz Statt schier bettet an. [...] All Heiligkeit die scheint auß mir.»6 Auf den ersten Blick scheint Cenodoxus in allen seinen Taten und Äusserungen christlich und tugendhaft zu handeln, ist aber in Wahrheit, angetrieben durch die teuflische Hypokrisie, eine allegorische Gestaltwerdung der Scheinheiligkeit oder Verstellung, und ihre Gehilfin, die Eigenliebe Philautia, längst seiner eitlen Ruhmsucht verfallen. Sein Schutzengel Cenodoxophylax und Conscientia, sein Gewissen, vermögen nichts mehr zu seiner Hilfe auszurichten. Als er in seiner Sterbestunde vor dem himmlischen Gericht vorsprechen muss, kann seine Seele nur noch akzeptieren, zu ewigen Höllenqualen verdammt zu werden.

 

Die vielen Unternehmungen in der Forschung, das tragische Ende des Gelehrten zu erklären, führten vor allem zu detaillierten Studien über das Laster des Doktors: seiner Cenodoxia.7 Im Pariser Gelehrten sah man einen nach dem Lasterschema der katholischen Kirche zu verurteilenden Charakter, der sich aufgrund seiner hochmütigen humanistischen Gesinnung luzifergleich Gott gegenüberstellte und schliesslich in die Hölle gestossen werden musste.8 Johannes Müller sah im Cenodoxus sogar «die geistesgeschichtliche Zertrümmerung der literarischen Vergangenheit» und erkannte im Stück «das literarische Gericht über den Geist des Renaissancemenschen, ausgesprochen vom Geist der Restaurationszeit».9 Die Brisanz des Stückes liege gerade in seiner Kritik am «Typus des weltmännischen Gelehrten neustoisch-lipsianischer Prägung zwischen Späthumanismus und Frühabsolutismus»10. Diese Verbindung von Gelehrtenkritik und Verdammnis auf einer katholischen Bühne führte häufig zu der missverständlichen Schlussfolgerung, der Cenodoxus sei eine jesuitische Version der Faust-Figur, die man nun endlich mit allegorischen Kräften auf der Bühne vor Gericht zerren und in die Hölle sperren könne.11 Dieses Missverständnis minimiert jedoch die theologisch-spirituelle und intellektuelle Dimension des Jesuitentheaters erheblich und reduziert es auf eine Reformations- und Humanismuskritik. Dabei ist die Figur des Cenodoxus das Gegenteil von einem starken Charakter wie Doktor Faustus, der willentlich und wissentlich einen Pakt mit dem Teufel eingeht. Der Gelehrte ist von Beginn an ein offener Charakter, eine experimentelle Projektionsfläche. Er steht nie für sich allein, sondern immer im Austausch und Kontakt mit seiner Umwelt. Er wird geformt durch das, was die Aussenstehenden in ihn hineinprojizieren und von den äusseren Kräften, die auf ihn einwirken. Und diese äusseren Kräfte sind unglücklicherweise dämonischer Natur.

Phantasmen, Dämonen und die
Unterscheidung der Geister

Im Jesuitentheater sind die weltlichen und die überweltlichen Mächte gleichwertig auf die Bühne gestellt. Als allegorische Figuren bevölkern sie die Szenen und treiben das Geschehen voran. Sie sind, und das ist für ein Verständnis des Jesuitentheaters entscheidend, eigentlich unsichtbare Kräfte, die für das Publikum nach aussen sichtbar gemacht worden sind. Meist teuflischen Ursprungs, belästigen und täuschen sie die Menschen und können sie von einem christlichen Pfad abbringen.12 Demnach hat ein Entlarven dieser Täuschungsmanöver und eine Resilienz gegen die teuflische Einflussnahme, vor allem in Kreisen von Kirchen- und Wüstenvätern, traditionell hohe Priorität. Eine der wichtigsten Figuren in diesem Bestreben ist der Wüstenvater Antonius Abbas. Laut seiner Legende, der Vita Antonii, wird jeder seiner Schritte von Einbildungen des Schreckens begleitet. Der Teufel und seine Dämonen trachten danach, Antonius mit sexuellen Phantasmen zu verführen. Aber sie gaukeln dem Heiligen nicht nur laszive, sondern auch monströse Bilder vor und bereiten ihm körperliche Schmerzen. Sein Kampf mit den Dämonen ist als «Versuchung des Heiligen Antonius» in die abendländische Kunst als Topos eingegangen, wie er etwa in der ikonischen Darstellung Martin Schongauers (um 1450–1491) eine bleibende Form gefunden hat (Abb. 2).13

Keyvisual Jahresprogramm 2023

Abb. 2 Martin Schongauer, Der Heilige Antonius, von Dämonen geplagt (Versuchung des Hl.Antonius), ca. 1470, Kupferstich, 31,2 cm × 23 cm

Zu Antonius Lebzeiten sorgten seine andauernden Kämpfe mit dem Teufel für schnelle Bekanntheit. Scharenweise folgten ihm Schüler in die Einöde, um von ihm das Ideal der Askese und vor allem die Lehre über den rechten Umgang mit den Dämonen zu erlernen. In der Form von Exerzitien, der sogenannten «Unterscheidung der Geister», gab Antonius das Wissen an seine Schüler weiter.14 In dieser Tradition stehen auch die Jesuiten. Als der Orden im Jahr 1540 durch Papst Paul III. offiziell bestätigt wurde, wählten sie als spirituell-meditative Grundlage das Büchlein ihres Gründers Ignatius von Loyola, die Exerzitien, oder auch Geistliche Übungen genannt. Wie bei Antonius Abbas ist auch bei den Jesuiten eine Sache von zentraler Bedeutung: die Lehre zur Unterscheidung der Geister. Wer diese Kenntnis hat, kann verstehen, welche Einflüsterungen von Gott und welche aus der Hölle stammen, ob sie also gut oder schlecht für die eigene Seele sind. Dieses Wissen, das von Antonius noch allein durch Predigten in der Wüste vermittelt wurde, verbreiten die Jesuiten seit dem 16. Jahrhundert über einen gezielten Medieneinsatz, mit dem sie möglichst viele Gläubige erreichen wollten. Insbesondere das Medium Schauspiel wird für den Orden zur Plattform, um die Gläubigen für eine Einflussnahme der teuflischen Mächte auf die Seele zu sensibilisieren. Das Theater wird schnell zu einem elementaren Bestandteil der spirituellen Mission der Jesuiten und vielleicht zu ihrer populärsten Kunstform.

Antonius und Cenodoxus

So verwundert es nicht, dass die Lehre des Antonius auch im Theaterstück Cenodoxus eine entscheidende Rolle spielt. Bereits die dämonischen Figuren im Stück sind im Sinne der Kirchenväter böse Geister, listige und luftige Wesen, die aufgrund ihrer Konturlosigkeit schwer zu greifen sind. Sie trügen die Wahrnehmung, sie lügen und betrügen, quälen ihre Opfer und verführen zu Untugenden, die den Weg zu Gott versperren. Die Tragik des Stücks besteht darin, dass der Doktor aus Paris es nicht vermag, seine Einbildungen auf ihren Ursprung hin zu überprüfen. Er ist von der Wahrhaftigkeit aller teuflischen Einflüsterungen überzeugt und nimmt die erlogenen Aussagen seiner Umwelt nicht als solche wahr. Trotz allen Gelehrtentums beherrscht er die Unterscheidung der Geister nicht. Wie gewichtig die Phantasmenlehre des Antonius für das jesuitische Schauspiel ist, wird in der 4. Szene des 3. Aktes deutlich. Dort wird Cenodoxus ein letztes Mal von seinem Schutzengel auf die Probe gestellt und ruft zu diesem Anlass sogar die Teufel zu Hilfe. Gemeinsam inszenieren sie in einem Traum eine Höllenfahrt für Cenodoxus, an dessen Ende sein Schutzengel von ihm ein Abschwören seiner Hoffart verlangt. Als er erwacht, ist der Doktor von der höllischen Szenerie derart erschreckt, dass in ihm zum ersten Mal die Frage aufkommt, ob man einen so tugendhaften Menschen wie ihn überhaupt vor dem himmlischen Gericht bestrafen könne («Ach Gott / ach Gott! wie ist mir doch? / [...] Steck ich dann also Sünden voll / Daß ich die Höll verdienen soll?»). Die teuflische Eigenliebe Philautia zerstreut alle Zweifel. Gerade seine Heiligkeit sorge für den Dämonenbefall: «Der Tugenthalb verfolgtens dich. [...] Dann so was schelten böse Leut / So ist es gwiß ein Heiligkeit.» Um ihr Argument zu bekräftigen, beruft sich Philautia auf die Autorität der Wüstenväter und nennt explizit das Schicksal des Antonius als Beispiel:

Phil. Ey ist dir dann nit selbst bewüst / Wie es den vil Heilign gangen ist? Wie habens plagt vnd triben vmb Antonium / Macharium? Akt III, Szene 4

Die Dämonen, die Cenodoxus im Schlaf heimgesucht hätten, wären von gleicher Natur wie die der Wüstenväter Antonius und Macarius. Der Dämonenbefall, so präsentieren es ihm die teuflischen Einflüsterungen, ist also kein zu bekämpfendes Übel, sondern wird als ein Zeugnis seiner wahren Heiligkeit interpretiert. Den Doktor überzeugt dieses Argument. So wie der heilige Antonius als gelungenes Vorbild einer Phantasmenbeherrschung heranzuziehen ist, wird anhand der Figur des Cenodoxus also die Konsequenz einer unkontrollierten und von Dämonen beherrschten Imagination durchexerziert.

 

Aber noch ein weiteres Wesen ist vor allem für die Bedeutung des Mediums Schauspiel von Belang, das, wie noch deutlich werden wird, auch für Tinguely besonders interessant werden sollte. Es ist die Hypokrisie, die als ὑπόκρισις für nichts anderes als die Schauspielerei als solche steht und über die jene teuflischen Vorgehensweisen für das Publikum ersichtlich werden sollen.15

Hypokrisie und Dämonen oder der
Nutzen des Theatralen

Im Cenodoxus wird also die Vorstellung eines allgegenwärtigen Wirkens und Wütens der Dämonen auf die Bühne gebracht. Um die Aufführung für eine Schulung der Rezipient:innen im Sinne einer Unterscheidung der Geister zu erzielen, bedient sich das Stück eines besonderen Schachzuges. Es legt die Vorgehensweise der Hypokrisie offen. Als höllische Furia betritt sie die Bühne: «Ich ich die höllisch Gleißnerey / Steck Schalckheit voll vnd Büberey / Voll Laster / Voll Betrug / voll List / All schaedlichs übel in mir ist […]» (Akt I, Szene 2). Neben Betrug, Täuschung und Streichen ist ihr Hauptanliegen die Manipulation der menschlichen Wahrnehmung. Mit ihren Einflüsterungen bestärkt sie die Figuren in ihrem vermeintlich tugendhaften Verhalten und sorgt für verwerfliches Handeln: «In dem ich lehre / recht zuleben / Lehr ich sie vnrecht thun daneben» (Akt  I, Szene 2). Schrittweise vereinnahmt die Hypokrisie die Zielpersonen ihrer Anschläge und der Doktor ist ihr Lieblingsopfer. Gemeinsam mit ihrer Gehilfin Philautia, der «Aigenlieb» treibt das höllische Gespann die superbia des Doktors so weit, dass er sich für einen Heiligen hält und diesen vermeintlichen Status gegenüber der Welt aufrechtzuerhalten vermag. Dabei zeigt der Doktor der Aussenwelt ein falsches Gesicht. Die Hypokrisie lehrt in ihrer Funktion als «Verstellungskunst» ihre Opfer eben jene Fertigkeit. In der 2. Szene erzählt die Hypokrisie den Teufeln von ihrem Erfolg, den sie bei dem Gelehrten hat: «Wann er den Leuten ist im Gsicht / Da ist er aller Tugent voll / Damit man jhn nur loben soll; Ist aber niemand da vmb jhn? / So ist auch alle Tugent hin. Schön simuliern / dissimuliern / Verdecken / bergen / vnd fingiern [...].» Vor ihren dämonischen Helfern prahlt die Hypokrisie damit, dass Cenodoxus dank ihr sie in diesen Fertigkeiten sogar bereits übertreffen könnte: «Das kann er alls so maisterlich / Das er kund selber lehren mich» (Akt I, Szene 2).

 

Aber alles, was die Hypokrisie tut und beim Doktor von Paris bewirkt, dient letztendlich einer Sichtbarmachung ihrer Strategien für das Publikum. Hier zeigt sich die Indienstnahme der vormodernen Phantasmentradition auf der Jesuitenbühne. Zugleich, und das verdeutlicht die Tragweite dieses Schachzuges, wird im Cenodoxus eine Nutzbarmachung der antiken Schauspieltradition sichtbar. Als Kunst der Verstellung galt das Theater bei den Kirchenvätern, etwa bei Augustinus, eigentlich als unchristlich. Für Tertullian (um 155/160 n. Chr.–nach 220 n. Chr.) war gerade das Schauspiel eine Brutstätte von Dämonen. Christliche Zuschauer:innen antiker Spektakel sollen regelmässig vom Teufel besessen nach Hause zurückgekehrt sein, wie er in seiner Schrift De Spectaculis schilderte.16 Und auch das Theaterstück sollte seine Wirkung auf das Publikum nicht verfehlen. In einem Bericht über die Münchner Aufführung des Schauspiels heisst es, «dass der CENODOXUS […] wie kaum ein anderes Theaterstück den ganzen Zuschauerraum durch so fröhliches Gelächter erschütterte, daß beinahe vor Lachen die Bänke brachen». Dies rief «im Geiste der Zuschauer eine so große Bewegung wahrer Frömmigkeit» hervor, dass sich viele von ihnen «nicht lange nach dem Ende des Spiels zu […] den Ignatianischen Exerzitien» zurückzogen und «bei den meisten eine wunderbare Bekehrung folgte.»17

 

In einer inversen Tertullian’schen Logik wird das Publikum über das Schauspiel massgeblich beeinflusst, allerdings nicht durch dämonische Wesen, sondern durch christliche Inhalte. Die traditionell von der Kirche befürchtete negative Wirkung der Schauspielkunst wird auf der Jesuitenbühne ins Nützliche verkehrt. Das Theater der Jesuiten macht im Cenodoxus über das Schauspiel, hier repräsentiert durch die allegorische Figur der Hypokrisie, die Kunst der Verstellung und Täuschung für das Publikum sichtbar und nachvollziehbar. Die Hypokrisie fördert mit eigenen Mitteln das zutage, wofür sie selbst steht, und eröffnet so die Möglichkeit für eine Schulung und Sensibilisierung des Publikums. Die Jesuiten überformen das eigentlich Zersetzende des Theaters und verkehren es ins Nützliche. Die Hypokrisie steht somit im Dienste des Jesuitentheaters.

Die Altarwerke: Tinguelys Neuinterpretation Grünewalds und das Theater der
Jesuiten

Im Cenodoxus Isenheimer Flügelaltar Tinguelys wird ein Spiel mit diesem vormodernen Erbe sichtbar. In bemerkenswerter Weise legt das Werk eine Indienstnahme des Theatralen in der religiösen Kunst offen und stellt es in seinen Versatzstücken zur Schau.

 

Bei der Installation handelt es sich um einen dreiteiligen Flügelaltar, der sich in Bewegung versetzen lässt. Die drei Teile bestehen aus Eisenrahmen, die über Scharniere miteinander verbunden und mit Federn, Glühlampen und Schädeln geschmückt sind. In der Mitte der Installation ist ein grosses Holzrad angebracht, über dem ein Kuhschädel montiert ist, den acht Raubvogel- beziehungsweise Adlerfedernpaare bekrönen. Am rechten Aussenflügel sind zudem Pfauenfedern befestigt. Unter den drei Eisenrahmen ist, ähnlich zu einem Altar, eine mit kleineren Objekten ausgestattete Predella-Zone erkennbar. Im Mittelteil und im rechten Flügel befinden sich die Unterkiefer von Rinderschädeln. Flankiert wird die Flügelanlage von zwei als Ministranten ausgewiesenen Figuren.18 Während der linke Ministrant mit dem Unter- und Oberkiefer eines Ziegen- oder Schafsschädels gestaltet wurde, besteht der Kopf des rechten Ministranten wahrscheinlich aus einem Hundeschädel. Wird die kinetische Apparatur nun in Bewegung versetzt, zeigt sich den Betrachtenden ein unheimliches Spektakel: Begleitet vom Quietschen, Rattern und Stöhnen der Konstruktion wird das zentrale Rad in Rotation versetzt, der Kuhschädel verfällt in ein langsames Nicken und das sich unter ihm befindende Kruzifix dreht sich unablässig im Kreis. Die oben aufgesetzten Federn des Mittelteils beginnen sich zu drehen. Die Glühlampen tauchen die Installation in ein schauriges Licht, das die sich öffnenden und schliessenden Mäuler der Tierschädel und den um sich selbst rotierenden Menschenschädel aus Gips im vorderen Bildfeld noch dramatischer wirken lässt. Wie die dämonischen und teuflischen Gestalten auf der frühneuzeitlichen Bühne ist auch hier alles in Bewegung.

 

Es ist das Malmen, Quietschen und Rasseln der Scharniere und Metallteile, das den Eindruck einer gespenstisch-dämonischen Szenerie hervorruft und zugleich eine weitere Bedeutungsebene für ein Erfassen der Installation eröffnet. Denn Tinguely beschwört mit seinem Kunstwerk nicht nur das von teuflischen Gestalten vorangetriebene Ableben des Cenodoxus herauf, sondern setzt sich mit dem Stellenwert des Dämonischen für das Schauspiel der Jesuiten und des Theatralen insgesamt auseinander. Diese Kombination spiegelt sich im Titel der Installation wider. Wie im Folgenden gezeigt wird, bringt dieser Antonius Abbas mit ins Spiel, der, wie oben dargelegt, entscheidenden Figur für das Phantasmen- und Dämonenverständnis der Jesuiten und ihr Ordenstheater.

 

Im Alter von 17 Jahren sah Jean Tinguely den Wandelaltar Matthias Grünewalds zum ersten Mal.19 In dem zwischen den Jahren 1512 und 1516 für das Antoniterkloster Isenheim angefertigten Werk tritt der Wüstenvater gleich mehrfach in Erscheinung. Auf der ersten Schauseite des Polyptychons, das die Kreuzigung Christi im mittleren Paneel darstellt, ist Antonius auf dem rechten Seitenflügel zu sehen (Abb. 3). Über dem Heiligen hat ein Dämon die Butzenscheiben zerschlagen und versucht, sich durch das Fenster Eintritt zu verschaffen. Der Hinweis auf den Kampf des Antonius mit seinen Phantasmen, wie er in der Vita Antonii überliefert ist, wird im dritten Wandelbild des Altars erneut aufgegriffen. Während die Gemäldetafel des rechten Seitenflügels die Begegnung von Paulus von Theben und Antonius Abbas darstellt, wird im linken Flügel der Kampf des Heiligen mit seinen Dämonen in Szene gesetzt. Teuflische Mischwesen aus Tier und Mensch bedrängen den Wüstenvater, drohen ihm und fügen ihm körperliche Schmerzen zu (Abb. 4).

 

Indem Tinguely nun bewusst eine Verbindung zwischen dem Theaterstück Cenodoxus und dem Isenheimer Altar herstellt, verknüpft er das Schauspiel der Jesuiten explizit mit dem vormodernen Phantasmen- und Dämonenverständnis. Vor diesem Hintergrund kann das ephemere Kunstwerk Tinguelys neu gedacht werden. Denn die Maschinenplastik legt genau jene ästhetische Vorgehensweise der Jesuiten offen, mit der sie die Schauspielkunst durch ein strategisches Überformen und Verkehren nutzbar machen wollten.

Abb. 3 Mathis Gothart Nithart (Grünewald), Isenheimer Altar, zwischen 1512 und 1516, Tempera und Öl/Lindenholz, 376 × 534 cm, Museé Unterlinden, Colmar

Abb. 4 Mathis Gothart Nithart (Grünewald), Isenheimer Altar, dritte Schauseite, zwischen 1512 und 1516, Tempera und Öl/Lindenholz, 376 × 534 cm, Museé Unterlinden, Colmar

Keyvisual Jahresprogramm 2023

Abb. 5 Fra Angelico, Kreuzigung mit Maria und Heiligen, zwischen 1441 und 1442, Fresko, 152 cm × 112 cm, San Marco, Florenz


Wie im Folgenden gezeigt wird, macht Tinguely von den gleichen Strategien Gebrauch, die der Jesuitenorden einsetzte, um sein Vorgehen zu kommentieren und kritisch zu hinterfragen. Hierzu zählen sowohl das Aneignen traditioneller Formen als auch das Offenlegen theatraler Mechanismen. Zugleich setzt sich Tinguely mit der religiösen Kunst und Liturgie und ihrer Wirkung auf die Betrachtenden insgesamt auseinander. Tinguely kennt und nutzt die Riten und liturgischen Praktiken der katholischen Kirche sowie die ikonografische Tradition der klassischen Kunstgeschichte und unterläuft sie im selben Moment.

 

Zentral ist hier zunächst, dass seine Wahl auf die Form eines Alters fällt, der nach dem Konzil von Trient zum Zentrum des Sakralraumes und zur Aufbewahrungsstätte für das Allerheiligste werden sollte. Die konzilsväterliche Forderung zur gesteigerten Verehrung der Hostie als höchstes Zeichen spiegelt sich in den sich kontinuierlich öffnenden und schliessenden Tierschädeln wider: Links und rechts neben dem Altar platziert, scheinen die als Ministranten ausgewiesenen Versatzstücke des Altars rhythmisiert den Empfang der Hostie zu erwarten. Die dämonischen Gerippe und die düstere Atmosphäre der Installation verweisen auf den Topos der Heimsuchung des Heiligen Antonius. Hinzu treten aber noch weitere Elemente, die sich als Reduktionen traditioneller Bildformeln aus der christlichen Ikonografie zu erkennen geben. Und so erinnert ein Kinderski, der sich durch ein Metallrad des linken Seitenflügels bohrt, noch entfernt an den Heiligen Sebastian, der um 300 n. Chr. unter Kaiser Diokletian sein Martyrium durch einen Beschuss mit Pfeilen erlitten haben soll. Die Pfauenfedern erinnern an Palmenzweige, die traditionell als Attribut den Darstellungen von Märtyrern und Märtyrerinnen beigegeben sind. Der nickende Kuhschädel im mittleren Bildfeld lässt an den gekreuzigten Jesus denken, wie er auf dem Tafelbild Grünewalds dargestellt ist. Der aus Gips geformte Menschenschädel auf der Predella stellt eine Verbindung zur Kreuzigungsstätte Jesu her, die in der Deutung des Origenes zugleich das Grab Adams ist und wie es beispielsweise in der Kreuzigung Christi des Fra Angelico in San Marco ikonografisch repräsentiert ist (Abb. 5).20 Im Gegensatz zu traditionellen Kreuzigungsdarstellungen prägen die Schädelknochen hier das gesamte Erscheinungsbild des Triptychons. Tinguely präsentiert den Betrachtenden also einen Ort, an dem man Schädel zu erwarten hat, wie es die Etymologie des aramäischen gûlgaltâ impliziert. Und gleichsam wie der alte, sündige Adam in paulinischer Deutung durch den neuen Adam antithetisch als Erlöser von Sünde, Tod und Verdammnis ersetzt wird,21 so erwächst bei Tinguely aus der traditionellen Ikonografie ein neues Formenrepertoire.

 

Indem für den Cenodoxus Isenheimer Flügelaltar Elemente aus dem Theater herangezogen werden, wird zudem die Inanspruchnahme des Theatralen für den religiösen Gebrauch reflektiert. Eine wichtige Rolle spielt die Beleuchtung, die Tinguely in einer neuartigen Kombination von Ritualität und Theatralität inszeniert. Denn das Licht, das im sakralen Kontext noch auf die Anwesenheit des Göttlichen verweisen sollte,22 kreiert keine himmlische Sphäre, sondern ein monströses Schattenspiel. Die Lichtregie Tinguelys unterstützt die theatrale Wirkung der Installation, auf deren Bühne die Phantasmen und Schattenwesen nun ihr elektronisches Unwesen treiben.23 Die Leuchten scheinen hier nicht länger einen Altar, sondern einen Theaterschminkspiegel zu zieren. Dies beschwört zum einen den Vanitastopos herauf, zum anderen schafft es aber eine Verbindung zur Schauspielkunst als Verstellungskunst im Sinne der Hypokrisis. Mit diesem Kunstgriff legt Tinguely zugleich die konstante Spannung einer Indienstnahme und Nutzbarmachung des Theatralen offen, die nicht vom Dämonischen und von Trugbildern zu lösen ist. Tinguely war sich dieser religiös-spirituellen Wirkung auf die Betrachtenden bewusst. In einem Interview äussert er sich über den Cenodoxus Isenheimer Flügelaltar folgendermassen:

It [der Altar] is motorised in a rather special way, on a slow rhythm so that you don’t feel it too much […]. It keeps you quiet, and I discovered I had done well – that people were sitting in front of the piece as if they were in Church, where they don’t sit anymore!24

Aus der Überformung, Neuinterpretation und Verkehrung von traditionellen Bildformeln und Zeichengefügen stellt Tinguely dar, wie Kunst kontrolliert wirksam wird und Einfluss auf die menschliche Wahrnehmung nehmen kann. Für eine solche kontrollierte und regulierte Rezeption sorgt die Maschine, die den Betrachtenden wiederholt einen Vorgang vor Augen stellt. Wird die Apparatur in Gang gesetzt, kommt hinter dem monumentalen, rotierenden Rad eine betende Marienfigur zum Vorschein, die ebenfalls mechanisch in Bewegung versetzt wird. Sie scheint einen immerwährenden, rhythmisierten Gebetsakt zu absolvieren und erhält somit den Charakter einer humorvollen Persiflage. Allerdings ist das meditativ Repetierende im Cenodoxus Isenheimer Flügelaltar endgültig mechanisch geworden und stellt seine Mechanismen als sichtbar gemachtes Uhrwerk zur Schau. Die Installation übernimmt Elemente aus dem sakralen Raum und überträgt sie in eine profane Sphäre. Daher entledigt sich der Altar auch jeder Form von äusserer «Verhüllung», die in einem religiösen Rahmen durch alle möglichen Arten von Stofflichkeit, die Paramente, eine Anwesenheit des Heiligen implizieren und eine Erfahrung des Göttlichen vorbereiten sollte.25

 

Die höllische Szenerie, die von Tinguely absichtlich so kreiert wurde, dass die Betrachtenden davor wie in einer Kirche zur Ruhe kommen, setzt sich mit dem wahrnehmungstheoretischen Erbe der Vormoderne und der Medienstrategie der Jesuiten auseinander. Indem Tinguely eine Verbindung zwischen dem Cenodoxus und dem Isenheimer Altar legt, verknüpft er die bildende Kunst nicht nur mit dem Jesuitentheater, sondern auch mit der Tradition einer Arbeit mit und an den Phantasmen. So wie die Jesuiten das Vorgehen der Dämonen einst auf der Theaterbühne enttarnen wollten, so enttarnt Tinguely das Vorgehen der Jesuiten einer Indienstnahme des Theatralen. Aus der Überformung, Neuinterpretation und Verkehrung von traditionellen Bildformeln und Zeichengefügen legt Tinguely in seiner Installation das Theatrum hinter dem Theatrum sacrum offen, das, aus seinem sakralen Kontext gelöst, «eher an ein Bühnenbild, Karneval» oder «Budenzauber» erinnern mag und die in den Quellen überlieferte spektakuläre Wirkung des Bidermann’schen Stücks zu hinterfragen scheint.26 Von den Altartafeln bleiben allein die Leisten, von den Figuren nur die Knochen zurück. Das, was Tinguely präsentiert, ist das entblösste Skelett des Jesuitentheaters.

  1. Uraufführung der Cenodoxus-Interpretation Dieter Fortes bei den Salzburger Festspielen am 28.7.1972. Archiv der Salzburger Festspiele: https://www.salzburgerfestspiele.at/p/cenodoxus-1972 (Zugriff am 30.8.2025).
  2. Dieses missverständliche Urteil über den Cenodoxus ist nicht nur in der Forschung zu Tinguely [so auch noch bei Graser, Jenny, Das plastische Ereignis. Das Zusammenspiel von Objektund Ereignishaftigkeit in der bewegten Skulptur am Beispiel von Jean Tinguelys Maschinentheater, Berlin 2018], sondern auch in der literaturwissenschaftlichen Forschung zu Bidermann weit verbreitet und hat lange den Diskurs über das Schauspiel geprägt. Siehe hierzu: Körber, Jenny, Innere Bilder – äußere Schau. Studien zum Mediendispositiv des frühneuzeitlichen Jesuitenordens, Köln 2024, insb. S. 186–189.
  3. Vgl. hierzu die Aussage Daniel Spoerris zu den Bühnenbildern Tinguelys für die Inszenierung des Cenodoxus: «Tinguely hat nicht mehr gemacht, als er sonst gemacht hat. […] Er hat einfach eine seiner Maschinen gemacht, […].» Jenny Graser im Gespräch mit Daniel Spoerri 2009, in Graser 2018, S. 254 [wie Anm. 2]). Zur Bearbeitung des Cenodoxus durch Dieter Forte, der ebenfalls den Charakter des Cenodoxus als eine «Art Faust-Figur» (Matt, Beatrice von, Werner Düggelin: Porträt und Gespräche, Zürich 2006) interpretierte, siehe: Graser 2018, S. 241–248 (wie Anm. 2).
  4. So u. a. bei Flemming, Victoria von/Flacke, Monika, «Jean Tinguely: Vanitas und die Kunst des Ephemeren», in: Benthien, Claudia/Flemming, Victoria von (Hg.), Vanitas. Reflexionen über Vergänglichkeit in Literatur, bildender Kunst und theoretischen Diskursen der Gegenwart, in: Paragrana: Internationale Zeitschrift für Historische Anthropologie 27 (2019), 2, S. 75–96.
  5. Vgl. Rädle, Fidel, «Bidermann. Briefe an P. Matthäus Rader», in: Pörnbacher, Hans (Hg.), Die Literatur des Barock (Bayerische Bibliothek – Texte aus zwölf Jahrhunderten, 2), München 1986, S. 69–76, hier S. 71.
  6. Die erste deutsche Übersetzung des Cenodoxus von Joachim Meichel aus dem Jahr 1635 (Staatsbibliothek zu Berlin (Signatur: Yq 4031) wurde 1965 von Rolf Tarot 1965 ediert: Bidermann, Jakob, Cenodoxus, deutsche Übersetzung von Joachim Meichel, hrsg. v. Rolf Tarot, Stuttgart 2000.
  7. Cenodoxus aus dem Spät- u. Mittellateinischen cenodoxus= prahlend, cenodoxia=eitle Ruhmsucht. Die Vulgata übersetzt Cenodoxia in Gal. 5,26 und Phil. 2,3 mit «inanis gloriae cupido». Vgl. Tarot 2000, S. 83 (wie Anm. 6).
  8. So bei Tarot 2000, S. 164 (wie Anm. 6).
  9. Müller, Johannes, Das Jesuitendrama in den Ländern deutscher Zunge vom Anfang (1555) bis zum Hochbarock (1665) (Schriften zur deutschen Literatur, 8), 3 Bde., Bd. 2, Augsburg 1930, S. 18. Dahingegen hat die neuere Forschung andere Akzente mit einem Fokus auf das Mediale gesetzt. So Braungart, Georg, «Jakob Bidermanns Cenodoxus. Zeitdiagnose, superbia-Kritik, komischtragische Entlarvung und theatralische Bekehrungsstrategie», in: Daphnis 18 (1989), S. 581–640 und Krump, Sandra, «Sinnenhafte Seelenführung. Das Theater der Jesuiten im Spannungsfeld von Rhetorik, Pädagogik und ignatianischer Spiritualität», in: Laufhütte, Hartmut (Hg.), Künste und Natur in Diskursen der Frühen Neuzeit (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung, 35), Wiesbaden 2000, S. 937–950.
  10. Braungart 1989 (wie Anm. 9), S. 585. Begründet wurde dieses Argument vornehmlich biografisch: «Was er [Bidermann] in der Gestalt des Cenodoxus entlarvt und bekämpft, das ist nichts anderes als das Zerrbild eines Ideals, dem er selbst geopfert hatte.» Wehrli, Max, «Jakob Bidermann ‹Cenodoxus›», in: Wiese, Benno von (Hg.), Das deutsche Drama, Bd. 1, Düsseldorf 1958, S. 13–34, hier S. 24.
  11. So bei Sinn, Christian, «Jakob Bidermann: Das Spiel im Spiel (Cenodoxus)», in: ders. (Hg.), Cenodoxus, Comico-Tragoedia (Bibliotheca Suevica, 10), Konstanz/Eggingen 2004, S. 179–198, hier S. 188; Murdoch, Brian, Adam’s Grace: Fall and Redemption in Medieval Literature, Woodbridge, Eng. [u. a.] 2000, S. 174–176; Miola, Robert S., «Jesuit Drama in Early Modern England», in: Dutton, Richard/Findlay, Alison/Wilson, Richard (Hg.), Theatre and Religion. Lancastrian Shakespeare, Manchester 2003, S. 71–86, hier S. 75f.
  12. Vgl. hierzu Clark, Stuart, Vanities of the Eye: Vision in Early Modern European Culture, Oxford/New York, NY 2007, S. 123.
  13. In einem Interview erinnert sich Tinguely an jenen Topos als Inspirationsquelle für den Cenodoxus-Altar: «Die Versuchung hatte es mir angetan.» Poley, Stefanie, «Stefanie Poley und Jean Tinguely: Fragen und Antworten mit Abbildungen der ausgestellten Werke», in: Jean Tinguely, Ausst.-Kat. Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung, München 1985–1986, München 1985, S. 34–129, hier S. 42.
  14. Berns, Jörg Jochen, «Antonius Abbas. Der Heilige der Imagination und seine Entdeckung durch die Maler des 15.–16. Jahrhunderts», in: ders. (Hg.), Die Jagd auf die Nymphe Echo: zur Technisierung der Wahrnehmung in der Frühen Neuzeit (Presse und Geschichte, 53), Bremen 2011, S. 335–369.
  15. Vgl. Hebenstreit, Wilhelm, Wissenschaftlich-literarische Enzyklopädie der Aesthetik. Ein etymologisch=kritisches Wörterbuch der ästhetischen Kunstsprache, Wien 1843, S. 355.
  16. Tert. spect. 26,1f. (CCL 1, S. 249). Zur patristischen Schauspielkritik und ihrem Einfluss auf das Jesuitentheater siehe weiterführend: Körber 2024, S. 80–91 (wie Anm. 2).
  17. Rädle, Fidel, Die Praemonitio ad Lectorem zu Jakob Bidermanns Iudi theatrales (1666). Abgedruckt in: Hardin, James/Jungmayr, Jörg (Hg.), «Der Buchstab tödt – der Geist macht lebendig», Bern/ Berlin/Frankfurt a. M./New York/Paris/Wien 1992, Bd. 2, S. 1131– 1171, hier S. 1150f.
  18. Vgl. Poley 1985, S. 42 (wie Anm. 13).
  19. Auch wenn Tinguelys Zeit als Messdiener zu diesem Zeitpunkt schon ein paar Jahre zurücklag, formulierte er in einem Interview den nachhaltigen Einfluss, den diese Zeit auf ihn und den späteren Cenodoxus-Altar hatte: «I left the Catholic church when I was 13½ […]. But Catholicism: when you spend eight years of your life as a Catholic boy scout you never lose that from your personality, something stays in you. And, of course, there is some expression of that in the Cenodoxus.» Petherbridge, Deanna, «Just a Normal Anarchist?», in: Art Monthly, 61(1982), S. 3–6, hier S. 5.
  20. Vgl. den Kommentar des Origenes zu Mt 27,22 (Comm. Ser. 124, Text n. Klostermann, Erich, Origenes, Werke XI: Matthäuserklärung, Die lateinische Übersetzung der Commentariorum Series, Berlin 1976, S. 259, Z. 5–7.)
  21. Vgl. das 5. Kapitel des Römerbriefes des Paulus.
  22. Vgl. Brossette, Ursula, Die Inszenierung des Sakralen. Das theatralische Raum- und Ausstattungsprogramm süddeutscher Barockkirchen in seinem liturgischen und zeremoniellen Kontext (Marburger Studien zur Kunst- und Kulturgeschichte, 4), 2 Bde., Weimar 2002, S. 261.
  23. Vgl. Jocks, Heinz-Norbert, «Ich beschäftige mich mit dem Tod, um ihn zu bekämpfen», in: Kunstforum International 115 (1991), S. 266–275, hier S. 271.
  24. Beaumont, Mary Rose, «Jean Tinguely talks to Rose Beaumont», in: Arts Review (1982), S. 451f., hier S. 451.
  25. Siehe hierzu: Röper, Ursula/Scheuer, Hans Jürgen (Hg.), Paramente in Bewegung. Bildwelten liturgischer Textilien, Regensburg 2019.
  26. Flemming/Flacke 2019, S. 88 (wie Anm. 4).

Bildnachweis:

Abb. 1: Helvetia Kunstsammlung, Fotograf: Christian Baur

Abb. 2: Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett / Public Domain Mark 1.0

Abb. 3: Foto: © Jörgens.Mi/Wikipedia, CC-BY-SA 3.0, Wikimedia Commons, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Isenheimer _Altar_(Colmar)_jm01221_deriv.jpg

Abb. 4: Foto: © Jörgens.Mi/Wikipedia, CC-BY-SA 3.0, Wikimedia Commons, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Isenheimer_Altar _(Colmar)_jm01229.jpg

Abb. 5: © Web Gallery of Art, https://www.wga.hu/html/a/angelico/09/ cells/38_cruci.html

 

© 2025, ProLitteris, Zürich für das reproduzierte Werk von Jean Tinguely

 

 

Jenny Körber ist wissenschaftliche Assistentin an der Universität Hamburg. Sie promovierte mit einer Arbeit zum Mediendispositiv des frühneuzeitlichen Jesuitenordens an der Humboldt-Universität zu Berlin. Ihre Forschung ist an der Schnittstelle von Kunstgeschichte, Literaturwissenschaft und Geschichte angesiedelt. Besonders interessieren sie die Spuren der Frühen Neuzeit in der Kunst der Moderne, denen sie auch in ihrer kuratorischen Arbeit bei den Staatlichen Museen zu Berlin nachging.

 

Dieser Beitrag erscheint im Anschluss an die Konferenz « Jean Tinguely Revisited. Kritische Re-Lektüren und neue Perspektiven», 20.–22. März 2025.

 

Keywords

Jesuitentheater

Phantasmen & Dämonen

Cenodoxus–Tinguely

Isenheimer Altar

Theatralität & Wahrnehmung

 

Tinguely Studies, Dezember 2025

Wissenschaftliche Online-Zeitschrift

 

Herausgegeben von: Museum Tinguely, Basel

www.tinguely.ch

 

ISSN 3042-8858