Eva Aeppli
25. Januar – 2. Mai 2006Am Beginn der Ausstellung Eva Aeppli im Museum Tinguely stehen die «Lebensbücher» der Künstlerin, die «Livres de Vie», die zwischen 1954 und 2002 entstanden sind. In Basel sind sie erstmals vollständig zu sehen, nicht nur in Vitrinen, sondern auch als Projektionen, in denen der vollständige Bestand virtuell durchgeblättert wird. Anhand der «Lebensbücher» kann die künstlerische Biographie von Eva Aeppli verfolgt werden, die Anfänge mit ihrem ersten Ehemann Jean Tinguely in Paris, im äusserst bescheidenen Atelier in der Impasse Ronsin, die frühen Kohlezeichnungen, düstere Menschen-gestalten, meist auf stark hoch-formatigem Packpapier, meisterhafte Schilderungen zerbrechlicher Menschlichkeit. Es folgen die Gemälde, diese grossformatigen Totentänze, Gerippflüsse, Skelettberge, Köpfe, Schädel, Hände. Und dann die Figuren, einzelne und die Gruppen, menschliche Figuren, genäht aus Stoff, gestopft mit Kapok. Figuren, deren Gesichter und Körper von höchster Individualität gezeichnet sind, und denen doch eine Anonymität sondergleichen inne wohnt. Gegen Schluss dann findet man in den grossen Lebensbücher-Folianten Fotos der späten Köpfe.
Aber die Lebensbücher gehen weit über die einfache Auflistung und Abbildung eines grossartigen künstlerischen Oeuvres hinaus. Sie sind vor allem eben collagierte Bücher des Lebens. In ihnen dokumentiert Eva Aeppli ihre Freundschaften, ihre Familie, Eltern, Geschwister, Kinder, Männer, sie verflicht Kunst und Leben in einer sehr persönlichen und zugleich exemplarischen Weise zu einem unteilbaren Ganzen. Die Künstlerin, die sich der Kommentierung ihres Werks sonst immer entzogen hat, gestattet in den «Livres de Vie» einen intimen Blick in ihr Leben.
Das Werk der Künstlerin, die heute mit ihrem Mann Samuel Mercer in der Normandie lebt, ist in einer exemplarischen Retrospektive, der ersten Ausstellung seit 1994, zu sehen. Sie versammelt insbesondere dank der Leihgaben aus dem Moderna Museet Stockholm die Hauptwerke der Künstlerin, den Zeichnungszyklus «Le Strip-Tease», die Gemälde «Fleuve I» und «Fleuve II», die Figurengruppen «La Table» und «Groupe de 48», und aus weiteren Sammlungen ihre späten Gruppen von Köpfen in Stoff und Bronze: die «Planeten», die «menschlichen Schwächen» und die «Sternzeichen». Den Zeichnungen, Gemälden, Einzelfiguren, Figurengruppen und Bronzen sind Dokumente und Sammlungen beigesellt, die das Leben und das Werk von Eva Aeppli noch besser fassbar machen – die «Nattes» zum Beispiel, Stoffblumenbänder, die sie 1987 an ihre Freunde versandte.
Werke, die in Zusammenarbeit mit Freunden entstanden, mit Jean-Pierre Raynaud oder Jean Tinguely etwa, zeigen Eva Aepplis Fähigkeit, auch in der gemeinsamen Gestaltung einerseits sich selbst treu zu bleiben, und andererseits dem Partner den nötigen Raum zu lassen. Diese Freundschaften kommen in der Ausstellung auch zum Ausdruck mit der Präsenz von Werken von Yves Klein, Daniel Spoerri, Bernhard Luginbühl und anderen Künstlerfreunden.
Mit den Lebensbüchern ist über eine lange Zeit einerseits eine Art «Autobiografie ohne Worte» entstanden. Weil einige ihrer Freunde dazu wichtige Beiträge leisteten, bedeuten diese "Livres de Vie" andererseits ein grossartiges und sehr persönliches Dokument zur europäischen Kunst der Nachkriegszeit.