Zilvinas Kempinas. Slow Motion

5. Juni – 22. September 2013

Zilvinas Kempinas, Kakashi, 2013, © Installationsansicht im Park vor dem Museum Tinguely, Basel Foto: Daniel Spehr
Die Werke des in New York lebenden litauischen Künstlers Zilvinas Kempinas sind ebenso minimalistisch wie kinetisch. Er schafft mit einfachsten Mitteln komplexe und atmosphärische Raumsituationen von grosser Schönheit, die Installationen spielen mit Luft und Leichtigkeit, die Reliefs mit Zeit und Zufall. Die grosse Einzelausstellung im Museum Tinguely entfaltet sich auf über 1500m2 sowohl in eigenen Räumen als auch im Dialog mit Werken Tinguelys.

Zilvinas Kempinas Kunst spielt sich auf der ‹bright side of the moon› ab. Die Schwerkraft scheint aufgehoben, die Palette des Lichts durchdringt und aktiviert die Materialien seiner Installationen. Die Reise, auf die uns seine Kunstwerke mitnehmen, führt ins Hier und Jetzt, hin zu Wahrnehmungsapparaten, Energieaggregaten, zu Raumskizzen und -interventionen. Es sind optisch-physikalische und gleichzeitig berauschend ästhetische Ereignisse, die seine Kunst ausmachen. Die von ihm verwendeten Mittel sind einfach, alltäglich und doch ungewöhnlich: Videoband, Ventilatoren, FL-Röhren, in Symbiose mit Raum, Rhythmus, Luft und Licht. Die damit erzielte Wirkung ist denkbar komplex, umfasst alle Sinne, verändert die Orientierung am Ort und die Wahrnehmung der eigenen Zeit und Bewegung. Sie ist stets auf den Betrachter hin orientiert, der selbst zum Akteur in einem theatralen, oft minimalistischen Environment wird.


Zilvinas Kempinas, Parallels 2007 at Museum Tinguely, Basel 2013
Biografie

Kempinas wurde 1969 in Litauen geboren. Seine Ausbildung fiel mitten in die Zeit der grossen politischen Umwälzungen. 1987 begann er ein Studium der Malerei am Staatlichen Kunstinstitut, das er 1993 in der gleichen Institution abschloss, die dannzumal neu Kunstakademie hiess. 1994 konnte er seine erste Einzelausstellung einrichten, „Painting from Nature“, im Contemporary Art Centre in Vilnius. Erfolg hatte er ebenso mit Bühnenbildentwürfen fürs Theater. 1998 erhielt er einen Preis für das beste Bühnendesign der Theatersaison in Litauen. Seinen Lebensunterhalt verdiente er als freier Mitarbeiter in einer Büromöbelfirma, für die er Layouts für Ausstellungsräume entwarf. Ende 1997 brach er nach New York auf, wo er von 1998 bis 2002 am Hunter College ‚combined media‘ studierte. Seine erste Einzelausstellung in den USA erhält er 2003 am P.S.1 Contemporary Art Center, gefolgt von weiteren Ausstellungen, darunter eine Einzelausstellung in der Kunsthalle Wien 2008. In diesem Jahr verbrachte er als Calder Preisträger sechs Monate in Calders Atelier in Saché, Frankreich, wo er seinen Beitrag für die Biennale vorbereitete: Tube, eine Arbeit, mit der er 2009 Litauen vertritt.
Zilvinas Kempinas, Light Pillars, 2013 mit Jean Tinguelys Fatamorgana/ Méta Harmonie IV, 1985 im Museum Tinguely, Basel 2013 (c) Foto: Daniel Spehr
Ausstellung im Museum Tinguely

Im Museum Tinguely erhielt Kempinas ‹carte blanche›, um seine bisher grösste Einzelausstellung zu realisieren.Sie breitet sich auf rund 1500 m2 Fläche über vier Ausstellungsgeschosse aus und besteht sowohl aus neu konzipierten Arbeiten als auch aus Arbeiten, die bereits an anderen Orten zu sehen waren, aber doch raumspezifisch stets neu entstehen. Empfangen wird der Besucher durch die Arbeit Light Pillars (2013), zwei grosse, acht Meter hohe, frei stehende Zylinder.  Ihre Form konstituiert sich durch mehrere konzentrische Lagen von Videoband, das durch Ventilatoren in oszillierende Bewegung versetzt wird und hell aufscheinendes Licht im Inneren des Zylinders verdeckt. Es ist eine extrovertierte, alle Aufmerksamkeit einfordernde Arbeit, die inmitten von Tinguelys grossen Maschinenskulpturen in der offenen Halle eine eigene, kraftvolle Dynamik entfaltet.

Kempinas Vokabular kennt aber ebenso die stille Kontemplation, wie wir sie gleich nebenan auf rund 200 m2 Fläche mit der Arbeit Parallels (2007) antreffen. Die den Raum längs durchmessenden, parallel gespannten Videobänder geben hier den Blick sowohl von oben, von der Galerie, als auch von unten, im Raum selbst, auf diese scheinbare ‹Wasseroberfläche› frei.

Zilvinas Kempinas, 2-Fan Drawing, 20101109-3, 2010

Eine der schönsten Raumpassagen des Museums, die sogenannte ‹Barca›, der mit Fensterband zum Rhein hin offene Erschliessungsgang vom Erdgeschoss zum Galeriegeschoss, nutzt Kempinas für die Arbeit Timeline (2013): vertikal und parallel gespannte Videobänder orientieren den Blick nach aussen neu. Während das Material der Bänder bei frontaler Aufsicht verschwindet und den Blick auf den Rhein freigibt, schliesst sich die Fensterfront scheinbar, sobald der Blick in die Diagonale oder nach links oder rechts wandert. Dann erlebt man ein reiches Spiel von Lichtbrechungen und Reflexionen, die sich auf der manchmal matten, manchmal glänzend-dunklen Oberfläche abzeichnen.
Im zweiten Obergeschoss mit vier Oberlichtsälen von klassischer Proportion sind zwei weitere, den Raum durchmessende Arbeiten installiert. Slash (2013) besteht wie Parallels aus parallel eng gespannten Videobändern, ihre Wirkung ist aber doch verblüffend anders. Da sich die Bänder diagonal durch den Raum erstrecken, wird die perspektivische Raumwahrnehmung verhindert und die Raumproportionen verschwimmen. Im letzten Raum hält sich ein Band auf scheinbar magische Weise selbst in der Luft und umtanzt die Wände. Es ist eine Poesie der Leichtigkeit und der Schwerelosigkeit, die unsere individuellen Träume vom Fliegen beflügeln kann.

Eine die Sinne überfordernde Manifestation von Energie inszeniert Kempinas in der Installation Ballroom (2010) im Untergeschoss, wo Ventilatoren, farbige Glühbirnen, Videobänder und Spiegelfolie zu einem dichten Tanz der Elemente vereint sind. Es ist eine Art von ‚Licht-Raum-Modulator‘, in dem die Betrachter sich in ihrer Orientierung verlieren können.
Zilvinas Kempinas, Ballroom, 2010 © Foto: Zilvinas Kempinas

Zilvinas Kempinas ist ein Magier der Elemente, der das Natürliche und das Künstliche als Ingenieur und Orphiker verbindet. Schon in der frühen Arbeit Moon Sketch (2005) ist der Kontrast zwischen Faktur und Wirkung eindrucksvoll. Aus einfachsten Materialien, einer im Innern schwarz bemalten Kartonrolle, Klebeband und einem Kleinbilddia-Rahmen, entsteht ein Instrument zur Himmelsbeobachtung, das allerdings als Periskop, als ‹Wallgucker› funktioniert: nur 5 Millimeter vor einer Wand angebracht und auf diese gerichtet, zeichnet sich scheinbar am dunklen Firmament in fahlem Licht der kraterübersäte Mond ab. Tatsächlich blicken wir auf ein Stück Wand von ca. 10 Zentimeter Durchmesser, die mit ihrer Textur, der weissen Wandfarbe und der besonderen Lichtsituation diese Illusion erst ermöglicht. Nichts ist versteckt, alles ist zu sehen, und doch führt uns die Wirkung an einen Ort, der unsere Sehgewohnheiten hinterfragt und herausfordert.

Kurator der Ausstellung ist Roland Wetzel. Sie entsteht in enger Zusammenarbeit mit dem Künstler vor Ort.