Rebecca Horn
5.6.–22.9.2019
Rebecca Horn. Körperphantasien
Das Museum Tinguely in Basel und das Centre Pompidou-Metz präsentieren gleichzeitig zwei der Künstlerin Rebecca Horn gewidmete Ausstellungen. Damit bieten die beiden Institutionen ergänzende Einblicke in das Schaffen einer Künstlerin, die zu den aussergewöhnlichsten ihrer Generation gehört. In der Präsentation Körperphantasien in Basel, die frühe performative Arbeiten und spätere kinetische Skulpturen kombiniert und so Entwicklungen innerhalb ihres Werks betont, stehen die Transformationsprozesse von Körper und Maschine im Mittelpunkt. Die Schau Theater der Metamorphosen in Metz erkundet das vielfältige Thema der Verwandlung unter animistischen, surrealistischen und mechanistischen Gesichtspunkten und hebt insbesondere die Rolle des Films als eigentlich Bühne ihrer Skulpturen und so als Matrix ihres Schaffens hervor.
Inspiration für Rebecca Horns Schaffen bildet stets der Körper und dessen Bewegungen. In ihrem performativen Frühwerk der 1960er und 1970er Jahre äussert sich dies in der Anwendung von Objekten, die als Körpererweiterungen neue Wahrnehmungserfahrungen eröffnen und zugleich auch als Begrenzungen wirken. In der Folge schuf die Künstlerin ab den 1980er Jahren primär kinetische Skulpturen und zunehmend raumgreifende Installationen, die mittels Bewegung lebendig werden. Der agierende Körper wurde durch einen mechanischen Akteur ersetzt. Diese Transformationsprozesse zwischen erweiterten Körpern und animierten Maschinen in Rebecca Horns mittlerweile fast fünf Dekaden umspannenden Œuvre stehen in Basel im Zentrum. In der Ausstellung werden performative Arbeiten und spätere Maschinenskulpturen nebeneinander gezeigt, um die Entfaltung von Bewegungsmotiven im Schaffen der Künstlerin nachvollziehen zu können. Gegliedert in mehrere Geschichten zeichnet die Basler Präsentation so die Entwicklung ihrer Werke als «Stationen in einem Transformationsprozess» (Rebecca Horn) anhand von vier Themen beispielhaft nach und betont die Kontinuität ihres Werks.
Meine Performances begannen mit Körperskulpturen. Alle Ausgangsbewegungen waren Bewegungen meines Körpers und seiner Extensionen.
Rebecca Horn, 1997
Flügel schlagen
Eine erste Gruppe von Werken geht von der Performance Weisser Körperfächer (1972) aus, mit der Rebecca Horn an die alte Faszination der Menschen für geflügelte und gefiederte Wesen anknüpfte. Mit Gurten fixierte sie an ihrem Körper ein Paar halbkreisförmige Flügel aus weissem Stoff, die sich durch Heben der Arme entfalten. Ein Film dokumentiert die von ihr mit diesem Körperinstrument vollführten Bewegungsexperimente: Das Öffnen und Schliessen, die Kontrolle der Flügel im Wind, Formen des Versteckens und Enthüllens, aber auch das Flügelausbreiten. Es sind Bewegungsmuster, die Rebecca Horn in einer Reihe von Skulpturen weiterentwickelte, so etwa in der einen nackten Körper umhüllenden Paradieswitwe (1975), in der balzenden Pfauenmaschine (1981), dem Hängenden Fächer (1982) oder dem Federrad Zen der Eule (2010).
Über Liebe zu sprechen, ist wie ein Wind, dem ich den Fächer vorhalte, er sucht sich eigenwillig seine Richtung, fällt unkontrolliert über mich her
Rebecca Horn, 2004
Zirkulieren
Verschiedene Formen von Zirkulation werden in einem zweiten Bereich der Ausstellung thematisiert. Zentral ist hier die Arbeit Überströmer (1970), der den Menschen als ein hydromechanisches Gebilde präsentiert. Der Arbeit steht die Installation Rio de la Luna (1992) gegenüber, die mit einem Röhrensystem wuchernd in den Raum ausgreift und in deren «Herzkammern» Quecksilber von Pumpen bewegt wird. Während im ersten Fall die innere Bewegung des Blutkreislaufs nach aussen verlegt wird, stand im zweiten Fall das Sichtbarmachen von emotionalen Energieströmen für Rebecca Horn im Vordergrund.
Die Skulpturen einer Installation bewahren in verkapselter Form geschichten und Erfahrungen, und in ihnen sind Lebenserfahrungen in einer Art chemischer Formel kristallisiert.
Rebecca Horn, 1997
Einschreiben
Gezeichnete Linien und Farbmarkierungen sind immer auch Spuren von Körperbewegungen. Sie bilden einen weiteren Themenkomplex in der Ausstellung. Dieses Motiv wird ausgehend von der Bleistiftmaske (1972), einem Instrument, das auf dem Kopf getragen wird und den Körper in eine rhythmische Zeichenmaschine verwandelt, vorgestellt. Konsequent führt die Künstlerin die Thematik in automatisierten Malmaschinen, von denen zwei verschiedene Typen gezeigt werden, fort. Die gesetzten Markierungen werden dabei immer auch als Ausdruck von Emotionen und Leidenschaft verstanden. Die Zeichnung als Einschreibung von Körper und Psyche wird schliesslich in den grossformatigen Papierarbeiten der Serie Bodylandscapes (2004/2005) erneut aufgegriffen
Ich habe darüber nachgedacht, wie man Seelenstrukturen einfangen könnte. Wie man diese auf eine zweidimensionale Ebene bringen könnte.
Rebecca Horn, 2006
Tasten
Ein letzter Themenbereich nimmt Extensionen von Händen und Füssen in den Blick. Mit den Fingerverlängerungen der Arbeit Handschuhfinger (1972) erkundete die Künstlerin wie mit Fühlern tastend ihre Umgebung. In ihren kinetischen Werken entwickelte sie das Sujet weiter und griff immer wieder auf alltägliche Objekte wie beispielsweise Pinsel, Hammer oder hochhackige Damenschuhe zurück. Auch Schreibmaschinen mit ihren Klaviaturen sind Instrumente, die unsere Finger verlängern. Sie wurden von Rebecca Horn in mehreren Werken verwendet, darunter in dem in Basel ausgestellten Schlüsselwerk La Lune Rebelle (1991). Die Werke dieser Gruppe bieten auch einen soziologischen Blick auf die Maschine als Körperextension, indem insbesondere als weiblich geltende Objekte versammelt sind.
Für mich sind diese Maschinen beseelt, sie agieren, sie beben, sie zittern, sie werden ohnmächtig und erwachen plötzlich wieder zu neuem Leben. Perfekte Maschinen sind es keinesfalls.
Rebecca Horn, 1993
Der Katalog mit Beiträgen von Sandra Beate Reimann, Antje von Graeventiz, Stefan Zweifel (u. a.) und umfangreichen Abbildungen erscheint im Verlag für moderne Kunst:
ISBN (Deutsch): 978-3-9524759-6-6
ISBN (Englisch): 978-3-9524759-7-3
Die Ausstellung wurde kuratiert von
Sandra Beate Reimann.
© 2019: Rebecca Horn/ProLitteris, Zürich