Basel

Jean Charles Tinguely, von Freunden häufig Jeannot genannt, wurde am 22. Mai 1925 in Fribourg als einziges Kind von Charles Célestin Tinguely und Jeanne Louise Tinguely-Ruffieux geboren. Während der Vater seit Anfang 1918 in Basel als Lagerverwalter für die Firma Cailler arbeitete, kam die Mutter im Mai 1924 nach Basel und arbeitete hier als Magd bei Ch. Schlumberger-Vischer. Die Eltern heirateten am 29. Januar 1925 in Basel, Jean wurde jedoch in Fribourg geboren. Mutter und Kind wurden am 15. Juli 1925 in Basel angemeldet. Die Familie wohnte im Gundeldinger-Quartier hinter dem Centralbahnhof. Tinguely besuchte die Primar- und Realschule im Thiersteinerschulhaus und an den normalerweise schulfreien Mittwochnachmittagen die freiwillige Zeichenelite des Lehrers Garraux im Gottfried Keller-Schulhaus. Die familiären Verhältnisse waren schwierig, zu Hause wurde ausschliesslich französisch gesprochen, die Erziehung war katholisch und vor allem der Vater hatte grosse Schwierigkeiten, sich zu integrieren. In der katholischen Heiliggeistkirche wurde Tinguely von Pfarrer Robert Mäder getauft, dort erhielt er Firmung und Kommunion, fungierte kurzzeitig als Messdiener und besuchte die kirchennahen Pfadfinder St. Alban. Der Gegenentwurf, die Antithese zum Katholizismus, ist die Basler Fasnacht, die Tinguely erstmals als 12-Jähriger besuchen durfte, die grossen Einfluss auf ihn als Person hatte und ihn von nun an stets begleiten würde.

Am 2. Mai 1941 begann Tinguely eine Lehre als Dekorateur im Warenhaus Globus und erhielt mit Theo Wagner einen ausgewiesenen Fachmann als Lehrmeister. Zudem meldete er sich auf Wunsch des Arbeitgebers an der Gewerbeschule an. Doch führten verschiedene Verstösse gegen die Hausordnung, wie etwa mangelnde Pünktlichkeit, im Sommer 1943 trotz vehementer Vermittlung des Basler Dekorateurs Joos Hutter, zur fristlosen Entlassung. Daraufhin schloss der Dekorateur Joos Hutter mit Tinguely einen Lehrvertrag ab, beginnend am 1. September 1943, und förderte ihn auch künstlerisch. Er besuchte Kurse bei Julia Eble-Ris, Paul Artaria, Max Sulzbachner, Theo Eble und Rolf Rappaz, lernte seine zukünftige Frau Eva Aeppli kennen und war von der Möglichkeit zu lernen begeistert:

Nach der Lehre absolvierte er mit «grösster Selbstverständlichkeit und grossen patriotischen Gefühlen» die Rekrutenschule als Mitrailleur in Liestal, wo er sich – unter der Leitung von Korporal Eberhard Kornfeld, später auch Mitglied der Basler Fasnachtsclique Kuttlebutzer – zum «totalen Frontkämpfer» entwickelte.

1948 zog er mit Eva Aeppli in ein zum Abbruch bereitstehendes Haus namens Burghof in der St. Alban-Vorstadt, nahe beim Kunstmuseum-Neubau. Aeppli erinnerte sich an die Zustände: «Jean zersägte alle Türen und die Holzteile des Hauses, damit wir Brennholz hatten. Die Abfalleimer türmten sich in einer Ecke des Zimmers. Wir lebten von kleinen Diebstählen. Jean machte an der Zimmerdecke Sachen mit Gegenständen und Motoren, ein wenig wie Calder.» 
Seine gestalterischen Fähigkeiten halfen ihm, auch im Zuge seines politischen Interesses, eine wichtige Rolle zu übernehmen. Dies bestätigte der damalige Parteiführer der kommunistischen Partei der Arbeit, Hansjörg Hofer: «Für uns war er sehr wertvoll, denn er hat alle Designsachen für die Partei gemacht. Er hat Puppen aus Eisendraht gemacht. In Paris hat er eine grosse, pro-kommunistische Ausstellung gemacht. Er hat die Dekorationen, die Aufschriften gemacht.»

Die Ausgestaltung des schweizerischen Pavillons bei der «Association des Femmes Communistes » 1948 in Paris wies Parallelen zu seinen Basler Schaufenstern vor allem des Jahres 1949 auf. Es waren Andeutungen einer künstlerischen Handschrift. Zudem half er bei der «Fiera Campionaria» 1950 in Mailand.

Peter Moeschlin, ein befreundeter Fotograf, dokumentierte zwischen 1949 und 1951 verschiedene von Tinguely gestaltete Schaufenster in den Basler Einkaufsläden Kostsport, Wohnbedarf, Ramstein, Tanner, Jehle und Modes Emmy. Der Kunsthistoriker Heinz Stahlhut berichtete, dass diese Fenster-Dekorationen in der Basler Öffentlichkeit «grosse Aufmerksamkeit und Begeisterung auslösen.»

1949/1950 fand Tinguely über seine Frau Eva den Zugang zum stadtbekannten Anarchisten und promovierten Historiker Dr. Heiner Koechlin, der in Basel als soziale Unruhe verbreitender Anarchist bei der Polizei aktenkundig war und seine kleine Buchhandlung am Spalenberg zu einem Zentrum für (politische) Flüchtlinge entwickelte. Tinguely war, nachdem er die Freie Jugend verlassen hatte, auch Teil der von Koechlin angeführten Arbeitsgemeinschaft freiheitlicher Sozialisten und kreierte zudem das Signet für dessen Eigenverlag Don Quichotte. In Koechlins unveröffentlichten Memoiren findet sich ein persönlicher Vermerk über seine Beziehung zu Tinguely: «Im Stillen beneidete ich ihn um seinen Amoralismus, mit dem er seine Ziele verfolgte und zu deren Erlangung er, wie er mir einmal erklärte, kein Mittel scheute. Ihn von dieser Haltung abbringen zu wollen, wäre ebenso fruchtlos gewesen wie seine rührenden Bemühungen, mich von meinen naiven Sentimentalitäten zu heilen.»

Obwohl er in der Schweiz sozial gut eingebunden war, siedelte Tinguely zusammen mit Aeppli gegen Ende des Jahres 1952 nach Paris über. Ihre gemeinsame Tochter Miriam, geboren am 27. Januar 1950, blieb bei Tinguelys Eltern zurück, die seit Ende der 1940er Jahre in Genf wohnten. In Paris unternahm Tinguely die Schritte, die ihn zu einem Künstler machten, der international ausstellt, und dessen Werke früh in sehr vielen grossen Sammlungen präsent waren.

Erst zehn Jahre nach seinem Wegzug aus Basel konnte er hier erstmals seine Werke zeigen. 1962 richtete ihm der Basler Galerist Felix Handschin die erste Ausstellung aus, der 1964 eine Zweite folgte. 1968 erwarb der Basler Verkehrsverein (heute Basel Tourismus) die Maschinen-Skulptur Hannibal II, die in der Folge in Basel und Liestal gezeigt wurde (und heute als Depositum im Museum Tinguely ist). Im selben Jahr zeigte das Kunstmuseum Zeichnungen von Robert Müller, Jean Tinguely, Bernhard Luginbühl. Im Februar 1972 zeigte die Kunsthalle die erste grosse Retrospektive Tinguelys (die nachfolgend in Hannover, Stockholm, Humlebaek und Amsterdam gezeigt wurde). 1976 präsentierte das Kunstmuseum im Anschluss an eine Schenkung Tinguelys seine Skulpturen.

Die Fasnacht, die Tinguely bereits in der Kindheit so wichtig gewesen war, spielte auch weiterhin eine Rolle: so stand er 1974 bei einer spektakulären Sprengaktion seiner Fasnachtsclique Kuttlebutzer im Zentrum. Er stattete sie 1976 mit Kostümen und Larven zum Sujet Stadtindianer aus, und entwarf 1977 den bis heute prominenten Fasnachtsbrunnen beim Stadttheater.

Bei der Hammerausstellung von Felix Handschin, einer Installation von Kunstwerken in einer verlassenen Fabrikhalle, engagierte sich Tinguely 1978 mit seinem Plateau Agricole, er nahm an den Ausstellungen zur Skulptur im 20. Jahrhundert 1980 im Riehener Wenkenpark mit der Schwimmwasserplastik und 1984 im Merian-Park teil. Er zeigte 1987 seinen Mengele-Totentanz in der Galerie Beyeler und entwarf 1990 mit seinen Künstler-Freund*innen Alternativen zur geplanten Wettsteinbrücke, die er in der Galerie Littmann unter dem Titel Bildhauer-Union zeigte. Dort waren 1991 auch seine Collaborationen mit Eva Aeppli zu sehen, und mit Klaus Littmann organisierte er im selben Jahr eine Rettungsaktion für den Hammering Man von Jonathan Borofsky. Littmann veranstaltete auch im Juni 1991 den Kulturgüterzug, an dem neben Tinguely Bernhard Luginbühl, Daniel Spoerri, Ben Vautier, Jim Whiting und Milena Palakarkina jeweils einen Güterwagen mit Kunst ausstatteten. Zur Ausstellung in der Messe Basel schuf Tinguely den Luminator, eine riesige Lampenskulptur, die heute im Euroairport Basel-Mulhouse-Freiburg steht und zuvor jahrelang die Reisende am SBB Bahnhof in der grossen Abfahrtshalle empfing.