Rüstung & Robe

13. Mai – 30. August 2009

Das Haus des erklärten Amateur-Schlossers Jean Tinguely öffnet sich der hohen Schule des wehrhaften Harnischs, dem grossartigen Handwerk der „Plattnerei“ und zeigt eiserne Männer-Roben für Krieg, Turnier und Prunk. Neuzeitliche weibliche Textilkunst des Couturiers Roberto Capucci, Werke von Eva Aeppli und Niki de Saint Phalle sowie Figurinen von Oskar Schlemmer weiten das Welttheater zu existenziellen Themen aus. Dies alles im Visier von allerhand „Kriegsgerät“ von Tinguely, Luginbühl und Spoerri, samt einem apokalyptischen Comic von M.S. Bastian: eine Kulturgeschichte zwischen Staunen und Parodie, Erschrecken und Entzücken.

Der Hauptharst an Rüstungen stammt aus dem Zeughaus Graz in der Steiermark, zusätzlich eine Schweizer Delegation aus Solothurn, den beiden letzten originalen Zeughäusern Europas. Diese rund sechzig Harnische werden gekrönt von zwölf Prunkrüstungen aus der Hofjagd- und Rüstkammer Wien. Sie treffen auf zwölf ausgewählten skulpturalen Roben des italienischen Modeschöpfers Roberto Capucci (*1930), der sich immer wieder an der männlichen „zweiten Haut“ aus Metall inspiriert hat.

So erwartet Sie eine ungewöhnliche Inszenierung, die für einmal das Museum auch zum Theater verwandelt.

Nach mehreren Stationen in Europa und den Vereinigten Staaten, bei denen hunderttausende begeisterte Besucher die Ausstellung des Landeszeughauses Graz gesehen haben, kommen die Rüstungen aus der Steiermark, Österreich diesen Mai nach Basel. Für diese Veranstaltung wurde die Präsentation völlig neu gestaltet und adaptiert, um die historischen Harnische in ihrer technischen Funktionalität zu den Arbeiten Jean Tinguelys in Beziehung zu setzen.
Ursprünglich als Depot des Aufgebotes des Landes Steiermark zum Schutz gegen die Türken angelegt, ist das Landeszeughaus auf Drängen der Stände um die Mitte des 18. Jahrhunderts als Denkmal der Wehrhaftigkeit des Landes erhalten geblieben. Das Zeughaus wurde damit zu einer der bedeutendsten und umfangreichsten Waffensammlungen der Welt.
In der Ausstellung in Basel geht es aber nicht in erster Linie um die historischen Ereignisse, die dazu geführt haben, dass ein derartiges Waffendepot an der bedrohten Südost-Grenze des Habsburger-Reiches im 16. Jahrhundert eingerichtet wurde. Die Harnische werden vielmehr über den Bereich des Körperschutzes hinaus vor allem als Körperbekleidung verstanden, die in gleicher Weise wie sein textiles Vorbild den modischen Strömungen unterworfen war. Dabei wird deutlich, wie der schöpferische Gestaltungswille vielfach die technischen Erfordernisse nutzte und gleichzeitig überwand. Einerseits bleibt die Rüstung funktionale Einheit, die bei hohem Schutz auch die Beweglichkeit des Trägers gewährleisten sollte, andererseits wird an vielen Details, an der Farbgebung, an der Knitterung der harten Oberfläche aus Stahl das textile Vorbild spürbar. Um einen möglichst breiten Überblick über die unterschiedlichen Möglichkeiten der Bearbeitung und Gestaltung des Metalls zu ermöglichen, sind die Leihgaben aus dem Steiermärkischen Landeszeughaus in Graz um einige ausgewählte Beispiele an Prunkharnischen aus der Wiener Hofjagd- und Rüstkammer, Kunsthistorisches Museum erweitert und ergänzt. Anhand von Schautafeln werden einzelne Arbeitsschritte der Metallbearbeitung verdeutlicht und vertiefen das Verständnis für die kunstreiche Arbeit des Plattners.
Der kalten männlichen Welt der Männer aus Eisen wird das sinnlich weiche Element der Frau in Form von Haute Couture des Florentiner Modeschöpfers Roberto Capucci gegenübergestellt. Gerade die Arbeiten dieses Künstlers sind für den Dialog mit historischen Harnischen besonders geeignet, versteht er seine Arbeiten doch als Werke der Skulptur, deren weiche textile Hülle mit den harten stählernen Hüllen der Rüstungen einerseits korrespondiert und andererseits in Kontrast steht. Dieser Kontrast als Ausdruck eines menschlichen Grundprinzips war bereits der antiken Mythologie geläufig, die der sinnlichen Göttin der Liebe, Venus, ausgerechnet den kunstreichen Schmied Vulkan als Gatten zugesellte, ein Thema, das sich in zahlreichen Bildern von Venus in der Schmiede des Vulkan verkörpert findet.
Vor mehr als zehn Jahren war bereits einmal erfolgreich eine Ausstellung in Wien veranstaltet worden, die einen Dialog zwischen Capuccis Kreationen mit historischen Prunkrüstungen gewagt hatte. Die Kombination von blitzendem blankem Stahl und weich fließenden Abendroben unterstreicht den festlichen Charakter der Präsentation, während der funktionale Aspekt die Harnische mit den ideenreichen Maschinen von Jean Tinguely verbindet. Auf diese Art und Weise werden die zwei substantiellen Komponenten des Harnisches als Festbekleidung und harte Körperhülle betont und ein neuer Blick auf historisches Rüstkammerinventar, wie es an manchen Orten auch in der Schweiz noch aufbewahrt wird, möglich.

Der Ausstellungskatalog erscheint in einer deutschen Ausgabe im Kehrer Verlag, Heidelberg, mit Texten von Christian Beaufort, Andreas Beyer, Silvia Ferino, Marco Leutenegger, Guido Magnaguagno, Andres Pardey, Johannes Ramharter und Daniel Spoerri (Festeinband, ca. 200 Seiten, 200 Farbabb.).

Die Buchvernissage findet am Sonntag, 14. Juni 2009, um 10.00 Uhr anlässlich des Art Breakfast im Museum Tinguely statt.

Virtuelle Tour