Territories of Waste
Über die Wiederkehr des Verdrängten
14. September 2022 – 8. Januar 2023
In Anbetracht der planetarischen Krise ist die Vermüllung des Planeten – neben dem Klimawandel und dem Artensterben – erneut ins Zentrum künstlerischer Praktiken gerückt. Die Gruppenausstellung Territories of Waste im Museum Tinguely stellt diese Positionen zeitgenössischer Kunst in den Mittelpunkt und fragt danach, auf welchen Gebieten sich die Auseinandersetzung mit dem Übrigen heute manifestiert, um damit zugleich einen neuen Blick zurück auf die Kunst der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu werfen. Die Gruppenausstellung versteht sich als eine Anhäufung oder Ansammlung vieler Stimmen, die das dynamisch Vermischte des Mülls auch als strukturierenden Begriff ernst nimmt. Die sich im Raum ausbreitende Ausstellungslandschaft lässt sich sechs zentralen Themenbereichen zuordnen, die sie wie ein Netz durchziehen.
Künstler:innen: Helène Aylon, Lothar Baumgarten, Anca Benera & Arnold Estefán, Joseph Beuys, Rudy Burckhardt, Carolina Caycedo, Revital Cohen & Tuur Van Balen, Julien Creuzet, Agnes Denes, Douglas Dunn, Julien Aaron Flavin, Eric Hattan, Eloise Hawser, Fabienne Hess, Barbara Klemm, Diana Lelonek, Hira Nabi, Otobong Nkanga, Otto Piene, realities:united, Romy Rüegger, Ed Ruscha, Tita Salina & Irwan Ahmett, Tejal Shah, Mierle Laderman Ukeles, Nicolás García Uriburu, Raul Walch, Pinar Yoldaş.
Schon in den 1960er Jahren haben die Künstlerinnen und Künstler des Nouveau Réalisme und der Junk Art (darunter auch Jean Tinguely) den fundamentalen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandel vom Mangel zur Konsum- und damit einhergehenden Wegwerfgesellschaft in ihrer Praxis durch die Verwendung von Abfall und Schrott als Material ihrer Kunstwerke gespiegelt. Während die Abfallberge der überquellenden Deponien und der achtlos in der Natur entsorgte Müll in den 1960er Jahren überall sichtbar wurde, ist er heute in den westlichen Teilen der globalisierten Welt im Wesentlichen unsichtbar. Eine ausdifferenzierte Abfallwirtschaft entledigt uns von Unrat und Schmutz ebenso wie von den Überresten unseres Konsumverhaltens. Sortiert, abtransportiert, verbrannt, geklärt, kompostiert, recycelt, in Bergwerken deponiert und exportiert ist das Ausgesonderte zwar nicht weg, aber immerhin fort.
Heute wird in den zeitgenössischen Diskursen und ästhetischen Praktiken nach den versteckten und verdrängten ökologischen, geologischen und globalen Bedingungen unseres Konsums gefragt. So hat die Thematisierung der unsichtbaren Mikrodimension des Mülls in der öffentlichen Wahrnehmung zunehmend an Bedeutung gewonnen. Die erdumspannende Omnipräsenz dieser Form von Abfall in Luft, Erde, Wasser, Eis und Lebewesen – und das auch in von Menschen nie betretenen Gebieten – hat nachhaltig die Vorstellung von Natur revidiert. Gegenwärtig widmen sich Künstler:innen insbesondere auch verstärkt der territorialen Verschiebungen von Waste entlang kolonialer Geografien. Zusammen mit den globalen werden die geologischen Aspekte in den Vordergrund gerückt. Zentral für diese «geosphärische» Bedeutung ist die Reflexion über die ökologischen Dimensionen von Rohstoffgewinnung insbesondere im Bergbau.