Die Dunkelheit verstehen: Wissenschaft und sensorischer Bias in der Tiefsee
„Außerdem sind Menschen geneigt, die visuellen Informationen über die der anderen Sinne zu stellen, wenn sie ein Gebiet kennenlernen, und sie fühlen sich mehr zu Tieren hingezogen, die annähernd so groß wie sie selbst sind.“ Barry Lopez, Arktische Träume[1]
Als Sonartechniker*innen und Forschungsbiolog*innen Mitte des 20. Jahrhunderts erstmals den Gesang der Buckelwale im Ozean hörten, waren dies Echos, die während des Kalten Krieges von einem streng geheimen Hydrofonnetzwerk aufgezeichnet wurden.[2] Die Forscher*innen fühlten sich verzaubert, die Klänge ließen sie genau spüren, was sich zwischen ihnen und ihrem limbischen System abspielte. Doch anfänglich ergab das Gehörte überhaupt keinen Sinn. Man wusste nicht, was es bedeutete, erkannte die enthaltenen Signale nicht und wusste auch nicht, wie man es benennen sollte.[3]
Die merkwürdigen Rufe und das seltsame Jammern wurden nicht als „Gesang“ bezeichnet, bis ein Forscher die Aufnahmen in den Sonagraf eines Universitätslabors eingab. Dieses Gerät bestand aus einem Stift, der Klänge in Linien auf einer Papierrolle umsetzte, wie ein altmodischer Lügendetektor, wenn er Geräusche wie Noten auf ein Liniensystem kratzt. Man hatte ihn zuvor benutzt, um den Gesang von Vögeln sichtbar zu machen.[4]
Erst als die langen monochromatischen Ausdrucke der Aufnahmen nebeneinander ausgelegt wurden und man sich einen Überblick verschaffen konnte, erkannten die beiden beteiligten Wissenschaftler das Muster. Die Geräusche der Wale besaßen eine Struktur, wiederholten sich, hatten einen Rhythmus. Dieses Muster war so markant, dass ein Foto dieser Ausdrucke – und kein Wal – auf dem Titelblatt der Ausgabe von Science abgebildet war, in der das Team 1971 seine Entdeckung publizierte (S. 97, Abb. 1).
Der grundlegende Beitrag in Science enthielt den folgenden Absatz: „Hört man die Vokalisierung der Buckelwale zum ersten Mal, hat man den Eindruck, eine fast endlose Vielfalt von Tönen wahrzunehmen. Spektralanalysen zeigen jedoch, dass alle ausgedehnteren Vokalisierungen in langen, feststehenden Sequenzen auftreten und alle paar Minuten mit beachtlicher Präzision wiederholt werden. Ein Charakteristikum des Vogelgesangs sind seine festgelegten, sich wiederholenden Klangmuster, weshalb wir bei den festgelegten Mustern der Buckelwale ebenfalls von ‚Gesang‘ sprechen.“[5]
Dies erregt sofort meine Aufmerksamkeit. Ich entnehme ihm, dass die Wissenschaftler – wie die meisten Menschen – die akustischen Muster anfangs nicht wahrnehmen konnten, sondern eine Visualisierung benötigten. Erst dann konnten sie die einzelnen Segmente von anderen, sich ständig verändernden Klängen unterscheiden und sie klassifizieren.
Die Lebenswelt der Meere ist ein erstaunlich klangreicher Raum.[6] Die menschlichen Ohren sind jedoch darauf ausgelegt, in der Luft optimal zu funktionieren, unter der Wasseroberfläche sind sie fast nutzlos. Der starke Eindruck von gedämpften, verzerrten Klängen oder ihr Fehlen führt dazu, dass wir uns die Meere immer als still vorstellen. Nichts könnte unzutreffender sein – tatsächlich breitet sich Schall unter Wasser schneller und leichter aus als in der Luft und er ist mit aussagekräftigen Signalen angereichert, die er über längere Strecken weiterleitet.[7]
Schall breitet sich unter Wasser viereinhalb Mal schneller aus als in der Luft; Signale werden mit größerer Klarheit über enorme Distanzen übertragen. Gleichzeitig wird Licht schneller absorbiert, Gerüche und Chemikalien verbreiten sich langsamer. Die Sinne der Meerestiere haben sich diesen Bedingungen angepasst und fast alle von ihnen – auch die Wirbellosen – können Geräusche wahrnehmen. Andere, wie etwa Fische und Säugetiere, sind erstaunlich akustisch orientiert. Sie absolvieren die grundlegenden Aufgaben des Lebens – Navigieren, Nahrungs- und Deckungssuche, Flucht vor Fressfeinden, Gemeinschaft und Kommunikation – mithilfe von Geräuschen und Gehör, einem Sinn, den der Mensch im Wasser fast gar nicht zur Verfügung hat.[8]
Für mich als eine sehende und atmende Person des 20. Jahrhunderts (und vor allem als eine Autorin, die sich beruflich mit Wissenschaft und Technik befasst) sieht es tatsächlich so aus, als ob die Menschheit eine primär visuelle Spezies ist. Unsere Gehirne, unser Denken, sogar unsere Sprache mit ihren Bildern und auch unsere Wissenschaft und Technik. Wir entwickeln Werkzeuge, um das sichtbar zu machen, was wir nicht direkt wahrnehmen können, und übersetzen chemische, elektromagnetische oder akustische Daten nicht mittels Berührung, Geruch oder Klang, sondern wir übertragen sie in etwas, das man anschauen kann. Durch Visualität, mit Worten, Grafiken, Karten, Zahlen, Analysen, Spektrogrammen und anderen wissenschaftlichen Leistungen. Mir ist zudem aufgefallen, dass dieser Bias, diese Verzerrung, sogar noch deutlicher wird, wenn wir das Meer untersuchen, einen Raum, der enorm reich an nicht-visuellen Daten ist.
Die wissenschaftliche Erforschung der Meere durch den Westen wurde in den letzten 200 Jahren von Entwicklungen wie der kolonialen Expansion, der Entwicklung der Dampfschiffe und dem Aufkommen von Unterseebooten und Unterwasserkriegsführung vorangetrieben.[9] Vielfach sammelt man eine Unmenge von akustischen Daten, die von uns nicht direkt wahrgenommen – oder wie im Fall des Gesangs der Buckelwale nicht untersucht oder begriffen – werden können, sondern in Bilder umgesetzt oder visualisiert werden müssen, damit wir sie verstehen. Im Fall der Buckelwale stellte allerdings das Tempo des Gesangs eine Erschwernis dar. Der Gesang von Walen ist sehr langsam und der Mensch kann ähnliche akustische Muster etwa bei Vögeln leichter erkennen. Doch auch bei ihnen bedienen wir uns der Visualisierung, wie etwa des Sonagramms.
In der Zwischenzeit konnte wissenschaftlich festgestellt werden, dass die sensorische Erfahrung von Tieren, die hauptsächlich im Meer leben, ganz anders gewichtet ist als unsere, vor allem was Geräusche betrifft. Die Betonung der visuellen Erfahrung zu Lasten der anderen Sinne, insbesondere des Gehörs, unterscheidet uns demnach vom größeren Teil der lebendigen Meereswelt.
Als mein Wissen über die Geräusche in den Meeren zunahm, habe ich mich intensiver mit den Sinnen befasst. Ich wollte gern wissen, ob es Dinge gibt, die für unterschiedliche Informationsmodi wie Licht und Klang spezifisch sind und welchen Einfluss sie darauf haben könnten, was die Sinne des Sehens und Hörens für uns bedeuten. Verleitet uns etwa das Sehvermögen dazu, mehr Wert auf den Raum im Vergleich zur Zeit zu legen, auf das Diskontinuierliche im Vergleich zum Kontinuierlichen und auf den reproduzierbaren Datenpunkt im Vergleich zu nicht greifbaren Qualia?[10] Diese Fragen – die ich wirklich nicht als Erste stelle – weisen für mich auf die Möglichkeit hin, dass die Erforschung neuer Räume wie der Tiefsee auf sehr subtile Weise durch den visuellen Bias des Menschen beeinflusst wird. Wenn ich auf unsere Wissenschaftsgeschichte blicke und insbesondere darauf, wie Daten mithilfe von Schrift und geschriebener Sprache weitergegeben werden – so entscheidende Erfindungen wie die Druckerpresse mitberücksichtigt –, sehe ich, wie der Fokus auf reproduzierbaren visuellen Daten bei der Wissenserzeugung zuweilen die Fragen prägt, die wir stellen, die Experimente, die wir entwickeln, und damit auch unser Verständnis der von uns erforschten Welt.
Ich möchte keinesfalls die Genialität und die Notwendigkeit der Geräte herabmindern, die wir entwickelt haben, um eine Annäherung an und ein besseres Verständnis von Räumen zu erlangen, die sonst fremd und gefährlich für uns wären. Wenn es aber um die Erforschung der akustischen Dimensionen des Ozeans durch uns visuelle, sensorisch weit unterlegene Tiere geht, frage ich mich, was uns verloren geht und wie wir ein besseres Verständnis für die Tiefsee erlangen können, wenn wir Entscheidungen über ihr Schicksal treffen, das sich weit unterhalb des Reichs von Licht und Atem vollzieht.
Der visuelle Bias des Menschen ist lediglich eine These, allerdings eine, die ich so oft gehört habe, dass ich mich nicht mehr an das erste Mal erinnern kann. Obwohl sie mir intuitiv einleuchtet, ist sie als Lehrsatz schwer zu beweisen.
Lassen Sie mich einige Fakten in die Überlegung einbringen.
Der visuellen Verarbeitung stehen mehr Gehirnareale zur Verfügung als den anderen Sinnen. Wenn neurales Eigentum ein Indikator für Wichtigkeit ist, dann steht das Sehvermögen tatsächlich an der Spitze der Hierarchie der menschlichen Sinne.[11] Unsere Metaphern und rhetorischen Stilmittel konzentrieren sich auf das Visuelle – dies wurde für mich auch erst deutlich, als ich über Klang und Geräusche zu schreiben begann und bewusst keine visuell orientierte Ausdrucksweise verwenden wollte. Wir sehen also…, Schauen Sie, …
Diese Generalisierung des Menschen und seiner Wissenschaft als primär visuell enthält natürlich grobe Fehler. Die Menschen verlassen sich – zu verschiedenen Zeiten – unterschiedlich stark auf ihre Sinne. Viele kommen ohne das Sehvermögen durchaus gut zurecht. Manche*r wird von Musik stärker berührt als von jeglicher visuellen Erfahrung. Beim Essen und Trinken – und das gilt auf jeden Fall für mich – rücken Geruchs-, Geschmacks- und Tastsinn in den Vordergrund. Es kommt mir jedoch so vor, als ob die Methoden der westlichen Wissenschaft bei der Sammlung und Übertragung von Daten generell auf das Visuelle ausgerichtet sind.
So war die naturwissenschaftliche Revolution in Europa von Beginn an mit dem visuellen Reichtum der Renaissance verbunden, die einerseits von klaren, idealistischen Studien zur Perspektive[12] und andererseits von einem blutigen (manchmal geradezu schaurigen) Interesse an anatomischen Studien geprägt ist. Während das perspektivische Zeichnen die Wiedergabe von Räumen in der Malerei veränderte, wirkte sich die Sektion nicht nur auf die Darstellung menschlicher Figuren aus, sondern erweiterte auch das sich gerade entwickelnde Verständnis von der Anatomie der Tiere (wozu auch die Vervielfältigung von Zeichnungen mittels der neuen Druckerpressen beitrug).[13] (Wie sich herausgestellt hat, führte dies nicht immer zu größerer Exaktheit. Der Anatom Giulio Cesare Casseri sezierte den Kopf eines Fisches und entdeckte in seinem Inneren keine Hörschnecke. Obwohl gegenteilige Alltagsbeobachtungen bis in die Zeit von Aristoteles und Plinius zurückgehen, behaupteten nun viele, dass Fische nicht hören könnten. Daraufhin entspann sich um diese Frage eine Jahrhunderte anhaltende Debatte unglaublichen Ausmaßes … Aber das ist eine andere Geschichte.)[14]
Sogar heute noch beobachte ich bei meinen Studien zur Geschichte der Naturwissenschaften beziehungsweise ihrer Aufzeichnungen, dass diese Geschichte eine visuelle ist. In einer neuen Umgebung kartieren wir, erstellen Schemata räumlicher Beziehungen. Wenn wir uns mithilfe von Technologien in die Welt hinausbegeben, entwickeln wir unsere Instrumente nach meiner Beobachtung so, dass wir damit „sehen“ können, etwa mit dem Einsatz von Echolot-Papier oder Vogel-Spektrogrammen, die uns visuell formatierte Daten präsentieren. Wenn wir ganz Kleines oder sehr Großes nicht wahrnehmen können, dann greifen wir auf Mikroskope oder Teleskope zurück – und nicht auf Mikrofone oder winzige „Aroma-Scopes“ –, um Zellen oder Sterne zu erkennen.
Warum ist das so? Wir legen ja nicht nur Wert darauf, den technologischen Output in einem visuellen Format festzuhalten, sondern wissen auch die Publikation wissenschaftlicher Ergebnisse in sehr visuellen Druckerzeugnissen – in Bildern, Büchern und Zeitschriften – zu schätzen.
Vielleicht hat es viel mit dem Nachweisen zu tun. Gute Wissenschaft sollte nachvollziehbar sein, sich auf Experimente und Beobachtungen stützen, die reproduziert und wiederholt werden können. Die naturwissenschaftliche Währung sind Daten, die im (visuellen, reproduzierbaren) wissenschaftlichen Aufsatz enthalten sind: Zahlen, Diagramme, vor allem Worte. Meines Erachtens war es kein Zufall, dass die naturwissenschaftliche Revolution der Erfindung der Druckerpresse auf dem Fuße folgte. Aus welchem Informationskanal sie auch stammen, Daten werden fast immer auf visuellem Wege gesammelt, erläutert und verteilt.
Dies erinnert mich an den Aufsatz zweier Ozeanografen, Zeitgenossen der Buckelwalforscher, die zu beweisen versuchten, dass die Poch- und Klickgeräusche, die im Ozean zu hören waren, von Pottwalen stammten.
Im März 1957 traf die Atlantis, das Schiff der Woods Hole Oceanographic Institution, auf fünf Pottwale. Die Wissenschaftler lauschten der Unterwasser-Geräuschkulisse mithilfe der Schiffsinstrumente und hörten das geheimnisvolle Pochen.
In ihrem später verfassten Aufsatz heißt es: „Während der Stunde, die wir mit den Walen verbrachten, wurden die Maschinen oftmals ausgeschaltet, damit wir den Empfänger des Echolots zum Hören nutzen konnten. Leider war keine fonografische Ausrüstung verfügbar. Die mit Abstand am häufigsten auftretenden Töne waren Serien von scharfen Klickgeräuschen, die laut genug waren, um das Aufzeichnungspapier des Echolots schwarz zu färben […].“[15]
Diese kleine Episode (über die ich einen naturwissenschaftlichen Aufsatz las) illustriert, wie Wissenschaft häufig vonstattengeht. Um etwas zu belegen, müssen Daten gesammelt werden, die transportabel und reproduzierbar zu sein haben. In diesem Fall lag ursprünglich eine akustische Information vor. Da die Wissenschaftler die Klänge nicht aufnehmen konnten, bedienten sie sich des schiffseigenen Echolots und fertigten eine Aufzeichnung an – eine visuelle Aufzeichnung, die als Nachweis dienen sollte. Ohne diesen ist die Geschichte eben nur eine Geschichte: ein wundersamer Tag auf dem Wasser ohne offiziellen Nachweis für irgendetwas.
Wenn wir Menschen eine neue Umgebung betreten, bringen wir, wie ich glaube, diese visuelle Linse mit. Im Meer sehen wir uns durch die Evolution und die feindliche Umwelt dazu gezwungen, Wissenschaft und Technik zu Hilfe zu nehmen, was den aus unserem Bias resultierenden Wunsch verstärkt, nach Daten zu suchen, die sich quantifizieren und damit in einer visuellen Form reproduzieren lassen.
Es ist weder gut noch schlecht, sich auf einen Sinn mehr als auf einen anderen zu verlassen. Es ist keine Frage der Ästhetik oder eine Debatte über intrinsische Werte. Ich frage mich jedoch, was es bedeutet, dass dieser eine Sinn auf Kosten jenes anderen favorisiert wird. Was sind Licht und Ton? Was sind Sehvermögen und Gehör?
Wir wissen durchaus, was das Sehvermögen ausmacht. Für mich ist es alles zugleich. Von einem aus der Nähe betrachteten Bildschirm bis zu einem nebelverhangenen Hügel in der Ferne definiert dieser Sinn häufig die äußeren Grenzen unserer Welt, ohne die wir uns oft orientierungslos fühlen. Die Walforscher*innen machten vielleicht dieselbe Erfahrung: Erst das Betrachten der Gesamtheit der Ausdrucke machte das Muster sichtbar.
Was ist dann mit dem Schall?
Das Hörvermögen des Menschen ist ein interessanter Sinn. Dieser Fernsinn scheint es zu sein, der eine wahrhafte Schreckreaktion auslösen und uns aus dem Schlaf reißen kann.[16] Anders als das Licht ist er am Tag und des Nachts und auch um Ecken herum wirksam. Klang ist der Sinneskanal, über den soziale Wesen in der Regel Alarm- und Erkennungsrufe abgeben. Menschen etwa stoßen normalerweise zuerst Warn- oder Hilferufe aus, wenn überhaupt eine Wahrscheinlichkeit besteht, dass andere sie hören, anstatt sich auf das Sehvermögen oder den Geruch zu verlassen. Visuelle Signale wie etwa weiße Flaggen oder Leuchtraketen werden fast immer nur dann verwendet, wenn ein lauter Schrei unmöglich oder bereits erfolglos geblieben ist. Töne können bezüglich der Frequenz und der Amplitude sehr schnell und sehr vielfältig moduliert werden, weshalb sie im Tierreich häufig zur Kommunikation zwischen Individuen genutzt werden.[17] Töne und Klänge gehören zu zweien der größten Errungenschaften in der menschlichen Kommunikation: Musik und Sprache.
Und doch hat der visuelle Bias der meisten Menschen seit der Errungenschaft des Schreibens und insbesondere der Drucktechnologie sogar das Gebiet der Sprache beeinflusst.
Die Lyrikerin Anne Carson diskutiert in ihrem Werk Der bittersüße Eros einen Unterschied zwischen Stimme und Schreiben (letzteres eine visuelle Technik):
„Dass Wörter Ränder besitzen, ist eine Einsicht, die am lebhaftesten von ihren Lesern oder Schreibern erfahren wird. Gehörte Wörter können keine Ränder oder nur bewegliche Ränder besitzen; mündliche Traditionen können keine Begriffe von ‚Wort‘ als fixierte und begrenzte Vokabel besitzen, oder sie haben ein flexibles Konzept. Homers Wort für ‚Wort‘ (epos) umfasst die Bedeutungen ‚Rede‘, ‚Geschichte‘, ‚Lied‘, ‚Verszeile‘ oder ‚episches Gedicht als ganzes‘. Alle können sie geatmet werden. Die Ränder sind bedeutungslos.“[18]
Und wenn man darüber nachdenkt, stimmt es. Hören Sie jemandem beim Sprechen zu: Ein Satz ist ein einzelner Klang, wie der Walgesang ein einzelner Atemzug ist. In unserem Gehirn mögen zwar separate Einheiten für Rede und Sprache existieren, wenn sie jedoch als Sinnesdaten vom einen zum anderen übergehen, hängen sie viel stärker zusammen.
In diesem Kontext finde ich es interessant, dass unser Schreiben wohl anfänglich zum großen Teil aus Versen bestand, in denen Rhythmus, Ton und sogar Musik integrale Bestandteile von Worten sind.
Das Schreiben übersetzt unseren oft verschwommenen und einheitlichen Atem und Klang in getrennte Elemente und eine Syntax. Das Schreiben löst die Worte von ihrer*m Sprecher*in und aus ihrem Kontext heraus; es entwickelte sich langsam von der Rede über die Lyrik und rhythmische Verse schließlich zur gedruckten Prosa.
Vielleicht liegt es daran, dass ich schreiben kann; jedenfalls betrachte ich Sprache – und somit einen großen Teil der Kommunikation, die auch ein Element der räumlichen Gestaltung birgt – als eine visuelle Betätigung. Ich stehe damit nicht allein. Der Druck ist die Technik des Individualismus, sagt Marshall McLuhan. „Die Einbeziehung der Technik des fonetischen Alphabets führt den Menschen aus der magischen Welt des Ohres hinaus in die neutrale visuelle Welt.“[19]
Wenn dies für die Übersetzung von Sprache in Schrift gilt, wie ist es dann mit der Übertragung von Äußerungen einer akustischen Welt in Ausdrucke und Spektrogramme, dem Entfernen des Kontexts, dem Aufspalten in einzelne Teile und dem Übersetzen in Strukturen, die sich mit einem Blick erfassen lassen?
Welche akustischen Sinnzusammenhänge des Meereslebens, die größer sind als die Summe der von uns erfassten Einzelinformationen, kommen vielleicht abhanden oder werden nie verstanden? Was geht bei der Übersetzung verloren?
Vielleicht vereinfache ich zu sehr, wenn ich in der Evolution unserer Sprache, unseres Schreibens und unserer Wissenschaft bestimmte Parallelen sehe (immer wieder visuelle Metaphern!): vom Sprechen und ununterbrochenen Atemzügen über separate Worte und Zeilen, die noch in Versen und zu Gesang arrangiert sind, bis hin zu Zusammenstellungen in beweglichen Lettern und zu sorgsam belegten Aufsätzen. Von einer Welt, in der Wissen erfühlt, gerochen, geschmeckt und gehört wurde, von dem, was wahrgenommen wurde, mittels der Kodifizierungen von Bacons wissenschaftlicher Methode[20] zu dem, was beobachtet, wiederholt und gesehen wurde: vielleicht.
Dass wir im Meer nicht gut hören können, ist eine Tatsache; dass wir Technologien haben, die es uns doch ermöglichen, eröffnet uns eine Wahl. Wir können über uns hinausgehen, um neue Räume zu betreten. Wenn wir dies tun, kommt aber unweigerlich ein Filter zur Anwendung – wir können auswählen, was wir uns wann, wo, wie und mit welcher Lautstärke anhören, um Antworten auf unsere Fragen zu erhalten. Dies ist ganz wunderbar, wenn wir uns auskennen; aber wie oft wissen wir nicht einmal genug, um die richtigen Fragen zu stellen!
Auf einer praktischen Ebene ist es einfach schlechte Wissenschaft. Sich in eine Welt der Töne zu begeben, ohne wirklich hinzuhören, bedeutet, dass man eine Art von Leere betritt. In den Meeren müssen wir unsere Studien auf das ausrichten, was für Meereswesen wichtig und sinntragend ist, und das sind Töne.
Ich frage mich, ob unsere Unfähigkeit, dieser Daseinsform ihren eigenen Bedingungen entsprechend zu begegnen, zusammen mit unserem visuellen Bias und seiner merkwürdigen Ausrichtung auf das Separate und Quantifizierbare, nicht die Gründe dafür sind, dass wir in die Tiefsee vor allem vordringen, um an ihre Ressourcen zu gelangen.
Kurz vor dem Zweiten Weltkrieg wurden die ersten ernsthaften und weiträumigen Versuche unternommen, Erkenntnisse über die Ausbreitung von Schall durch die See und über sie hinweg zu gewinnen. Für diesen Zweck warfen amerikanische Wissenschaftler*innen Sprengstoff ins Wasser und erzeugten so einen extrem starken Schall, der sich unter Wasser ausdehnte, von Strukturen reflektiert wurde und zurückschallte. Dadurch ließ sich ein größtmögliches Gebiet erfassen. Beim Studium der Ausdrucke, auf denen die Auswirkungen der Echos ablesbar waren, konnten die Wissenschaftler*innen bestimmte Charakteristika erkennen, die vom starken Schall sichtbar gemacht wurden und die ihre menschlichen Ohren niemals wahrgenommen hätten: zunächst betraf dies natürlich den Meeresgrund, doch auch ausgedehnte geologische Strukturen unter dem Meeresboden, wo hartes Gestein die Druckwelle zurückgeworfen hatte.[21]
Wie bei der Jahre später entwickelten Ultraschalltechnik, die die Struktur der Organe unter unserer Haut sichtbar machen kann,[22] lieferte der Schall dieser Explosionen Bilder von zahlreichen weicheren oder härteren Gesteinslagen. Der Schall drang in die Tiefen unterhalb der Tiefe, in eine unerreichbare Zeit vor – und er kehrte mit Geschichten zurück, erzählte von uralten Wäldern, die sich in Öl umgewandelt hatten, von Gaseinschlüssen und energiereichen Ablagerungen. In den Offshore-Ölfeldern des Golfs von Mexiko, in der Bass-Straße und in der Nordsee erfüllen Luftgewehre weiterhin denselben Zweck der seismischen Beobachtung.
Und doch: Während wir eine Ressource abbauen, richten wir unseren Blick bereits auf eine andere.
Und alles beginnt von vorn.
Polymetallische Knollen sind Gesteinsbrocken, die ein wenig wie verschrumpelte Kartoffeln aussehen. Diese Knollen wurden im Verlauf von Millionen von Jahren aus dem Seewasser ausgefällt und enthalten seltene Metalle und Mineralien, die für die elektronischen Geräte und Batterien benötigt werden, die in unserem Alltag so unverzichtbar sind. Tiere verwenden Laute, um sich zu orientieren, Nahrung zu suchen, sich zu paaren und zusammenzubleiben – der moderne Mensch nutzt sein Telefon mit seinen Mangan- und Kobaltbestandteilen. Enorme Mengen solcher Knollen liegen zurzeit über die schwarzen, kalten und lichtlosen Ebenen des Meeresgrundes verstreut. Die am besten kartierten Felder befinden sich im Pazifik.
Ihre Gewinnung ließe sich mit Spezialfahrzeugen durchführen, die über den Meeresboden schrammen und die Knollen zur Oberfläche emporsaugen, wobei sie die Metalle zusammen mit allem ausgraben, was sich im Weg befindet.[23]
Globale Organisationen wie United Nations’ International Seabed Authority, die Regierungen kleiner pazifischer Inselstaaten und internationale Förderunternehmen diskutieren derzeit, wie diese Metalle abgebaut und an die Oberfläche gebracht werden können, um die Telefone und Kraftfahrzeuge von morgen mit Energie zu versorgen. Dies umfasst ein komplexes Geflecht aus Rechten, Verträgen und technologischen Hürden, die alle von der Tatsache überschattet werden, dass wir weniger über die Umwelt der Tiefsee wissen als über fast jede andere Region auf der Erde. Wir planen die Förderung von Rohstoffen am Meeresboden, bevor wir uns mit ihm auskennen.[24]
Ich frage mich weiterhin, ob dieser Übergriff, diese Erforschung und diese Extraktion uns so selbstverständlich scheinen, weil wir die Tiefsee mit all ihren Sinnesmodalitäten nicht so wahrnehmen können, wie sie ist –, insbesondere was den Schall und das Hören angeht. Wir überbrücken diese Lücke standardmäßig mit Technologien, die alles ins quantifizierbar Visuelle übersetzen, in Spektrogramme, Sonarabtastungen und bathymetrische Karten, die uns auf einen Schlag eine Welt offenlegen, die wir immer nur betrachten können, in der wir aber nie wirklich sein werden.
Es ist – salopp gesagt – nicht unsere Schuld, dass wir weder in der Tiefsee schwimmen können noch die Hörfähigkeit ihrer Population haben. Aber wir wissen inzwischen, dass wir hinhören müssen. Wir haben die Ausrede der Unkenntnis verloren. Wir wissen, dass es Schall in der Tiefsee gibt, weil wir ihn gemessen haben. Nicht viel, aber etwas davon. Wir haben Schiffslärm in den tiefsten Meeresgräben aufgezeichnet.[25] Und wir besitzen die ersten Langzeitaufnahmen von Tiefseebergen und Klangwelten der Tiefsee.[26]
In den letzten Jahrzehnten haben wir Korallenriffen zugehört und die winzigen Tiere erforscht, die dort leben – von Fischlarven bis zu Korallenpolypen. Diese kleinen, weichen Lebewesen, von denen viele keine Ohren und kein zentrales Nervensystem besitzen, können trotzdem Schall wahrnehmen. Sie erkennen den Klang gesunder Riffe und benutzen ihn, um sich zu orientieren und zu einem sicheren Unterschlupf zu gelangen.[27]
Warum sollte dieses Phänomen nicht auch in der Tiefsee vorkommen, wo es gar kein Licht gibt, sich aber hier und dort Gebirgsinseln aus Hitze, Nährstoffen und Leben erheben, eine hydrothermale Quelle oder ein Walgerippe zu finden ist? Warum sollten Tiere ihren machtvollsten Sinneskanal in der Tiefsee nicht nutzen – und warum sollten wir nicht wenigstens hinhören, um herauszufinden, ob sie es vielleicht tun?[28] Wir wissen inzwischen, dass wir Dinge zerstören, die wir nicht verstehen, wenn wir ohne vorherige Untersuchungen schleppen, reißen, graben, bohren und bauen.[29] Wir wissen inzwischen, dass das Meer eine Welt der Klänge ist, und wir wissen sogar, wie Tiere sie üblicherweise nutzen und dass wir versuchen sollten, ihnen zuzuhören. Wir wissen, dass diese so akustisch geprägte Welt zugleich ein zutiefst eigenständiger und weltumspannender Raum ist, jedenfalls für einen wahrnehmungsbereiten Verstand. Ich hoffe, ich habe weiter oben deutlich ausgeführt, warum wir zumindest versuchen sollten, diesen Raum so zu verstehen, wie er ist. Warum sollten wir das auch nicht tun?
Und das ist unser Dilemma. Wir müssen lernen, genauer und aufmerksamer hinzuschauen und vor allem müssen wir unsere Fähigkeit des Zuhörens verbessern. Alle Sinne sind begrenzt, aber alle werden benötigt, um einen Raum als Ganzes und an sich kennenzulernen oder ihm mindestens so nahe wie möglich zu kommen. Und doch können wir als Menschen in der Tiefsee nicht überleben, nicht alle ihre Geräusche ohne Hilfsmittel hören, müssen uns also auf eine Form der Übersetzung verlassen, um das Meer irgendwie zu sehen, zu berühren und in der See zu sein – auf eine dauerhafte, erfahrungsbezogene und sinnliche Art und Weise.
Dies erscheint als Dilemma, als Paradox. Und das ist es wirklich oft, wenn man es wissenschaftlich betrachtet. Ich glaube aber, dass sich mittels der Kunst eine Lösung abzeichnet.
Ich gebe nicht vor, Kunst definieren zu können, genau so wenig, wie ich Sprache oder Kultur definieren kann – beide sind wandelbare Begriffe. Kunst muss für mich jedoch Ideen miteinander verknüpfen, muss etwas verwandeln und vermitteln, das wir als Menschen verstehen können, und sie muss uns etwas zurückspiegeln, wie ein Echo vom tiefsten Meeresgrund, angereichert mit etwas, was wir nicht kennen, jedenfalls noch nicht. Sie muss den Pfad des Offensichtlichen und Erwarteten, des Herleitbaren verlassen. Auf diese Weise transzendiert Kunst sowohl das Rationale als auch das Empirische.
In seiner Ausstellung Midnight Zone erfüllt Julian Charrière diesen Anspruch. Er untersucht die Rolle, die all unsere Sinne bei der Konstruktion dieser Wirklichkeit spielen. Die Ausstellung ist synästhetisch angelegt – umfasst Video, Installation und Skulptur. Und indem er sie mit intensiven Hörerfahrungen kontrastiert, hinterfragt Charrière die standardisierte Visualisierung durch Daten, Filmmaterial und Form. Klänge leiten das Publikum durch die gesamte Ausstellung – von einem klagenden Chor aus Meeresgeschöpfen bis zu niedrigfrequenten Eruptionen der Schwarzen Raucher.
Es mag paradox wirken, Licht in ein Reich einzubringen, das durch die fast vollständige Abwesenheit von Licht gekennzeichnet ist. Trotzdem scheint es mir eine zutiefst ehrliche Konfrontation mit genau dem Paradox zu sein, das wir heutzutage in den Meeren erleben, eines, mit dem die Menschen gerungen haben, seit sie erstmalig Werkzeuge und Technik einsetzten, um die reichen Gefilde jenseits dessen zu erforschen, was sie mit bloßen Augen oder Ohren wahrnehmen konnten.
Es ist demütigend, zuzugeben, dass wir nicht verstehen, dass wir nicht wahrnehmen können. Es ist jedoch auch ein Geschenk. In seinen Werken untersucht Julian Charrière, wie wir die Wirklichkeit konstruieren; unsere Sinne sind Werkzeuge, und zwar machtvollere Werkzeuge, als unsere Weltanschauungen es uns glauben ließen – wenn wir nur die Annahme hinter uns lassen, dass sie isoliert und hierarchisch geordnet sind. Durch die Erschaffung sinnlicher Grenzräume und neuer Zusammenhänge werden tiefgehende Verbindungen möglich und unsere Entfremdung von diesem Raum kann hinterfragt werden.
Auch wenn ich niemals ungeschützt auf dem Boden des Pazifiks liegen und einen Walsturz hören kann, lässt sich diese Kluft doch teilweise überwinden. Etwa durch Kunst und bewusst eingesetzte Technologien – indem ich den Informationsfluss vom Akustischen auf das Visuelle hin verändere oder ihn umkehre, indem ich Raum und Berührung nutze, um die Speicher meiner Sinne aufzubrechen; vor allem aber, indem ich in den Raum jenseits des Nachweisbaren springe und dort zu spielen beginne. Wenn wir visuelle Wesen sind, die sich zusätzlich einer visuell ausgerichteten Technologie bedienen, mit der wir in eine akustische Welt hineinkrachen (hineinplatschen?), müssen wir einige Entscheidungen treffen.
Es wäre so einfach, alles zu ignorieren, was sich unseren Sinnen nicht offensichtlich präsentiert, und damit die Geschichte zu wiederholen, obwohl wir damit so viel verlieren würden: Kontext, Daten, Basiswerte, gute Wissenschaft, Erstaunen, Wahrheit. Die Chance, unsere Welt besser kennenzulernen.
Warum also, wenn wir dieses Mal doch gar nicht unwissend sind? Während wir tauchen, schürfen, vermakeln, ist uns doch bewusst, dass es in dieser tiefen Welt mehr Dinge gibt, als unsere erdgebundene Schulweisheit sich träumen lässt. Wir wissen um die fast sichere Wahrscheinlichkeit von Konsequenzen und Verlusten, die wir definitionsgemäß nicht vorhersehen können. Wir wissen, wie es ist, wenn wir das, was wir nicht mit den Sinnen erfassen können, zu einer Ware machen und es ansonsten ignorieren.
Ist es am Ende so, dass wir nur unter Druck zugeben können, dass es uns letztlich nicht kümmert, was wir zerstören? Dass wir uns nicht um die Konsequenzen dessen kümmern, was wir nicht verstehen?
Vielleicht. Wenn ich über all dies nachdenke – das Sehen, den Klang, die Sprache, das Wissen –, bekomme ich das Gefühl, dass wir uns vielmehr zu sehr kümmern. Denn wenn wir zuhörten statt zu lesen, wenn (um eine Metapher zu strapazieren) das Meer mit einer fast endlosen Vielfalt an Klängen zu uns spräche, anstatt über den unpersönlichen Ausdruck eines Spektrogramms – was dann?
Warum sollten wir mehr wissen wollen, wenn dieses vermehrte Wissen zu Erkenntnissen, Beziehungen, Kommunikation und Verpflichtung führt? Fühlt es sich nicht so an, als hätten wir davon schon zu viel? Und warum sollten wir mehr über Klang und Schall wissen wollen – wenn wir durch diesen Kanal kommunizieren?
Vielleicht sind wir ermattet und verängstigt und können es nicht ertragen, noch ein weiteres Reich zu betreten, wenn doch bittere Erfahrungen uns lehren, dass wir uns damit nur lästige Verpflichtungen und Beweise dafür einhandeln werden, dass wir bereits Chaos verursacht und wahrscheinlich schon mit unseren ersten freudigen Schritten einige schöne Dinge zerstört haben. Wie können wir es ertragen, dorthin zu gehen, wo wir an den tiefsten Schwefelquellen der Tiefsee lediglich das Grollen unserer Schifffahrtsstraßen hören, nur um dann Plastik vorzufinden, das sich in den winkenden Ködern von Grundfischen verfangen hat?
Wir haben unsere eigene Frage beantwortet. Können wir es ertragen, nicht mehr zu wissen? Können wir damit fortfahren, uns von der Welt nicht nur räumlich, sondern auch im Hinblick auf unsere Sinne und unser Verständnis zu isolieren? Falls wir jemals diese Isolation, unsere Trennung von der Natur oder den Verlust von Beziehungen und Gemeinschaft beklagt haben, wissen wir, wie wir uns verhalten müssen. Die Last, die wir verspüren, ist nicht die Folge einer Begrüßung, sondern des Schweigens, mit dem wir antworten.
Und wenn wir die Tiefe betreten – und wir werden das tun, wir haben es ja bereits getan –, werden wir wissen, dass es dort kostbare Dinge gibt, dass wir vorsichtig herangehen können, dass man es richtig machen kann. Beziehungen sind nicht per se eine Last. Alles Leben besteht aus Beziehungen, ob wir es wollen oder nicht; wir werden in ein Netzwerk aus anderen hineingeboren und keiner von uns ist hier nur für sich selbst.
[1] Barry Lopez, Arktische Träume, München 2000, S. 352–353.
[2] Vgl. D. Graham Burnett, The Sounding of the Whale: Science and Cetaceans in the Twentieth Century, Chicago 2012, S. 635.
[3] Vgl. Ocean Alliance, „The Discovery“, online: https://whale.org/humpback-song/ [08.03.2025].
[4] Vgl. Burnett 2012 (wie Anm. 1), S. 632–34; vgl. David Rothenberg, Thousand Mile Song: Whale Music in a Sea of Sound, New York 2008.
[5] Roger S. Payne und Scott McVay, „Songs of Humpback Whales“, in: Science, Bd. 173, Nr. 3997, 1971, S. 585–97 [Hervorhebungen von mir].
[6] Vgl. Carlos M. Duarte u. a., „The Soundscape of the Anthropocene Ocean“, in: Science, Bd. 371, Nr. 6529, 2021, S. 1.
[7] Vgl. Gail Scowcroft u. a., Discovery of Sound in the Sea, Kingston, RI, 2018, S. 135.
[8] Vgl. Duarte 2021 (wie Anm. 5).
[9] Vgl. Susan Schlee, Die Erforschung der Weltmeere. Eine Geschichte ozeanographischer Unternehmungen, Oldenburg/Hamburg 1974.
[10] Vgl. Anne Carson, Der bittersüße Eros, Wien/Berlin 2020.
[11] Vgl. Fabian Hutmacher, „Why Is There So Much More Research on Vision Than on Any Other Sensory Modality?“, in: Frontiers in Psychology, Bd. 10, 2019.
[12] Vgl. Christopher W. Tyler, „The Intersection of Visual Science and Art in Renaissance Italy“, in: Perception, Bd. 49, Nr. 12, 2020, S. 1265–1282.
[13] Vgl. Jess Righthand, „The Anatomy of Renaissance Art“, in: Smithsonian Magazine, 18. Oktober 2010, online: https://www.smithsonianmag.com/science-nature/the-anatomy-of-renaissance-art-36887285/ [08.03.2025].
[14] Vgl. John Hunter, „Account of the Organ of Hearing in Fish. By John Hunter Esq. FRS“, in: Philosophical Transactions of the Royal Society of London, Bd. 72, Nr. 1782, S. 378–383; vgl. G. H. Parker, „A Critical Survey of the Sense of Hearing in Fishes“, in: Proceedings of the American Philosophical Society, Bd. 57, Nr. 2, 1918, S. 69–98.
[15] L. V. Worthington und William E. Schevill, „Underwater Sounds Heard from Sperm Whales“, in: Nature, Bd. 180, Nr. 4580, 1957, S. 291.
[16] Vgl. Thomas Götz und Vincent M. Janik, „Repeated Elicitation of the Acoustic Startle Reflex Leads to Sensitisation in Subsequent Avoidance Behavior and Induces Fear Conditioning“, in: BMC Neuroscience, Bd. 12, Nr. 30, 2011.
[17] Vgl. Jack W. Bradbury und Sandra L. Vehrencamp, Principles of Animal Communication, Sunderland, MA, 2011.
[18] Carson 1986 (wie Anm. 9), S. 57.
[19] Marshall McLuhan, Die Gutenberg-Galaxis: das Ende des Buchzeitalters, Bonn u. a. 1995, S. 21.
[20] Vgl. Francis Bacon, Novum organum scientiarum, 1620; vgl. ders., Neues Organ der Wissenschaften, unveränderter reprografischer Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1830, Darmstadt 1990.
[21] Vgl. J. B. Hersey und Maurice Ewing, „Seismic Reflections from Beneath the Ocean Floor“, in: Eos, Transactions American Geophysical Union, Bd. 30, Nr. 1, 1949, S. 5–14.
[22] Vgl. Sarah Catchpoole, „Ultrasound Frequencies“, in: Radiopaedia, 20. April 2023, überarbeitet am 13. Juni 2024, online: https://radiopaedia.org/articles/ultrasound-frequencies/ [08.03.2025].
[23] Vgl. Daisy Chung u. a., „The Promise and Risks of Deep-Sea Mining“, in: Reuters, 15. November 2023, online: https://www.reuters.com/graphics/MINING-DEEPSEA/CLIMATE/zjpqezqzlpx/ [08.03.2025].
[24] Vgl. Ebd.
[25] Vgl. Bill Chappell, „Deep-Sea Audio Recordings Reveal a Noisy Mariana Trench, Surprising Scientists“, in: NPR, 4. März 2016, online: https://www.npr.org/sections/thetwo-way/2016/03/04/469213580/unique-audio-recordings-find-a-noisy-mariana-trench-and-surprise-scientists [08.03.2025].
[26] Vgl. Chong Chen u. a., „Baseline Soundscapes of Deep-Sea Habitats Reveal Heterogeneity among Ecosystems and Sensitivity to Anthropogenic Impacts“, in: Limnology and Oceanography, Bd. 66, Nr. 10, 2021.
[27] Vgl. Stephen D. Simpson u. a., „Homeward Sound“, in: Science, Bd. 308, Nr. 5719, April 2005, S. 221; vgl. Mark J. A. Vermeij u. a., „Coral Larvae Move Toward Reef Sounds“, in: PLOS One, Bd. 5, Nr. 5, 2010.
[28] Vgl. Sabrina Imbler, „Could Listening to the Deep Sea Help Save It?“, in: The New York Times, 10. November 2020, online: https://www.nytimes.com/2020/11/10/science/deep-sea-marine-biology-acoustics.html [08.03.2025].
[29] Unter den zahlreichen Beispielen, die mir begegnet sind, stechen zwei besonders deutlich hervor. Eines betrifft die Strandung von Schnabelwalen, lange bevor wir wussten, dass Echolotgeräte der Marine ihr Navigations- und Hörvermögen beeinträchtigen können. Eine Zusammenfassung findet sich in: M. P. Simmonds und L. F. Lopez-Jurado, „Whales and the Military“, in: Nature, Bd. 351, Nr. 448, 1991; vgl. eine Erörterung in Joshua Horowitzʼ exzellentem Werk War of the Whales: A True Story, New York 2014. Ein zweites Beispiel wurde kürzlich von australischen Wissenschaftler*innen und ihren Kolleg*innen aufgedeckt. Sie fanden heraus, dass Schiffslärm und seismische Messungen das sensorische Nervensystem von Schalen- und Krustentieren schädigen und es Hinweise auf langzeitige und subletale Beeinträchtigungen gibt, vgl. Ryan D. Day u. a., Final Report, „Assessing the Impact of Marine Seismic Surveys on Southeast Australian Scallop and Lobster Fisheries“, hg. von Fisheries Research and Development Corporation, University of Tasmania, FRDC 2012/008, Hobart 2016.