Wasser

Peter H. Gleick

Wasser ist ein einfaches Molekül aus einem Sauerstoff- und zwei Wasserstoffatomen – einfach, aber doch die Grundlage von allem, was uns zu Menschen macht – eine fundamentale Ressource, ohne die das Leben, wie wir es kennen, nicht existierte.

 

Als wäre das Wunder der Schöpfung, das in der Wissenschaft als Big Bang bezeichnet wird, nicht schon wundersam genug, glauben Wissenschaftler*innen inzwischen, dass das Wasser entstand, sobald es Wasserstoff- und Sauerstoffatome gab, nur wenige Millionen Jahre nach dem Big Bang. Heute richten wir unsere Blicke und Instrumente ins Weltall hinaus und zurück in die Vergangenheit und erfahren dabei, dass alle Formen von Wasser im gesamten Kosmos zu finden sind. Wasser ist universell, allgegenwärtig – auf Sternen, Planeten, Asteroiden und Kometen, sogar in der Leere des interstellaren Raums.

 

Wir beobachten Wasser auf jeder Art von Himmelsobjekt in unserem Sonnensystem, sogar versteckt in tiefen Kratern auf dem glühend heißen Merkur und auf unserem Mond (S. 114, Abb. 1). Wir beobachten es in den gefrorenen Ozeanen und Wolken auf Uranus und Neptun. Wir beobachten es in der Atmosphäre von Venus, Jupiter, Saturn und zahlreichen Monden. Und wir beobachten es in den Eiskappen, den Böden und der dünnen Atmosphäre des Mars‘. Viele aktuelle und geplante Weltraummissionen haben die genauere Erforschung dieser wasserreichen Welten und die Suche nach Hinweisen zum Ziel, dass wir nicht die einzige Lebensform im Universum sind.

 

Unsere eigene planetare Heimat ist reich an Wasser in seinen drei hauptsächlichen Aggregatsformen: gefroren, flüssig und gasförmig. Das Leben hat seinen Ursprung im Wasser, in den unermesslichen Meeren der Erde. Wenn sich die Menschen nicht zu landbewohnenden Wesen entwickelt hätten und noch immer im Meer lebten, würde unser Planet Ozean und nicht Erde heißen, wie der Autor Arthur C. Clarke einst feststellte.[1] Unser Wasser entstand bei der Herausbildung des Planeten oder kurz danach, und es hat eine entscheidende Rolle für die erfolgreiche Evolution unserer eigenen Spezies gespielt – bei ihrer Entwicklung in unserer angestammten Heimat in Afrika und der Verbreitung über die gesamte Erde. Wir konnten uns unsere Überlebensfähigkeit und Flexibilität bei der Anpassung an Wetter- und Klimaextreme zunutze machen, aber auch unser Lernvermögen im Hinblick auf die Beeinflussung und Lenkung des Wasserkreislaufs. Diese Fähigkeiten ermöglichten es dem Homo sapiens, andere Hominini auszustechen und zur dominanten Lebensform auf der Erde zu werden.

 

Wasser ist mehr als ein einfaches Molekül. Es steuert den Herzschlag der Erde, versorgt die Atmosphäre mit Energie, nährt das Land, erhält das Leben aufrecht. Der Wasserkreislauf ist ein nutzbringender Kreislauf, er bewegt das Wasser in all seinen Zuständen von einem Ort zu einer Zeit zu anderen Orten und Zeiten. Die Wassermoleküle in unserem Blutkreislauf sind dieselben, die in den Formen und Generationen von Leben zirkulierten, die uns vorausgingen.

 

Wasser verdunstet permanent von Land- und Wasseroberflächen in die Atmosphäre. Es zirkuliert um den Planeten in Wolken, Stürmen und Wasserdampf, kondensiert zu Regen und Schnee und schlägt sich wieder auf den Meeren und dem Land nieder, wo es sich dann, der Schwerkraft folgend, von den Bergen herab in rauschende Ströme und Flüsse ergießt, um im Grundwasser gespeichert oder zurück in die Ozeane geführt zu werden, wo der Kreislauf sich erneuert. Enorme – zum Teil sehr alte – Wasservorräte sind in den Zwischenräumen von Erdreich und Gestein, in riesigen Wasserschichten oder uralten Gletschern und Eiskappen eingeschlossen. Es gibt sogar Hinweise auf urzeitliche Wassermassen, die aus der Zeit der Formation der Erde stammen und sich tief in der Erdrinde und dem Kern des Planeten befinden.

 

Diese Wasserlager und -ströme spielen eine grundlegende Rolle für das Funktionieren und die Gesundheit der natürlichen Ökosysteme sowie aller Arten, unsere eigene inbegriffen. Sie speisen die Natur. Sie dienen dem Anbau von Nahrung für mehr als 8 Milliarden Menschen. Sie sind von entscheidender Bedeutung für die Herstellung aller Waren und die Bereitstellung der Dienstleistungen, von denen wir abhängig sind. Sie nehmen die Abfälle auf, die wir gedankenlos entsorgen. Und heute, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, sind sie aufgrund unseres Umgangs mit der Umwelt in akuter Gefahr.

 

Wasser – oder Wassermangel – definiert die Ökosysteme der Erde. Sogar die Sprache, die wir zur Beschreibung unserer Lebensräume verwenden, dreht sich um Wasser: Feuchtgebiete, Wüsten, Marschen, Regenwälder, Eiskappen, Niederschlagsgebiete, lenitisch (Süßwassersysteme), litoral (Küstengewässer), lotisch (Fließgewässer), ozeanisch. Die Schöpfungsgeschichten indigener Kulturen und Religionen beziehen sich durchweg auf das Wasser, es gibt zahlreiche Wassergötter, Symbole und Rituale, die auf Wasser verweisen, sowie epische Erzählungen von Fluten und Trockenzeiten. Unsere Ahnen lernten, wie man Wasser zum eigenen Vorteil einsetzt; sie erfanden die künstliche Bewässerung, um Nahrungsmittel für größer werdende Populationen anzubauen, konstruierten Kanäle, Qanats und Aquädukte, um Wasser über weite Entfernungen zu transportieren, und bauten rudimentäre Dämme, um es in Nässeperioden für Dürrezeiten zu speichern.

 

Die wissenschaftlichen und technischen Fortschritte der letzten 500 Jahre führten dazu, dass wir uns nicht mehr nur den Wasserkreislauf zunutze machen können, sondern auch Methoden entwickelt haben, den natürlichen Systemen immer mehr Wasser zu entziehen, um die zunehmenden Bedürfnisse wachsender Populationen und Wirtschaftssysteme zu befriedigen. Als die Bevölkerung auf der Erde noch relativ klein war, ließen sich diese Anforderungen gut bewältigen, obwohl überliefert ist, dass einige frühe Gesellschaften – insbesondere in wasserarmen Regionen oder während der Perioden extremer Trockenheit – unter unlösbaren Wasserproblemen litten oder deswegen sogar zugrunde gingen. Ausbleibender Niederschlag soll zu Missernten, gesellschaftlichen Umbrüchen und dem Sturz der Tang-, Yuan- und Ming-Dynastien in China beigetragen haben. Archäolog*innen glauben, dass die Pueblo-Völker im amerikanischen Südwesten ihre Siedlungen um 1300 n. Chr. aufgrund einer lang anhaltenden gravierenden Dürre aufgaben. Wassermangel und Trockenheit trugen um 900 n. Chr. neben sozialen Problemen, Kriegen und versagenden Institutionen zum Zusammenbruch der Maya-Städte bei.[2]

 

Um unseren eigenen Wasserbedarf, der über die letzten Jahrhunderte stetig angestiegen ist, zu decken, haben wir eine sehr große Anzahl technologischer, technischer, ökonomischer und institutioneller Systeme entwickelt. Seit Pionier*innen wie John Snow in London Mitte der 1850er-Jahre die Besonderheiten des Wassers, seine Belastung und mit dem Wasser in Verbindung stehende Krankheiten entdeckten,[3] knüpfen wir an die Erfahrungen früherer Generationen an und lernen aus ihren Fehlern. Auf diese Weise wurden Bedrohungen wie Cholera, Ruhr und parasitäre Erkrankungen identifiziert, denen man mit Klärmaßnahmen begegnete, um sauberes Wasser zur Verfügung stellen zu können. Fortschritte auf dem Gebiet der Chemie erlaubten die Entwicklung großer Wasseraufbereitungsanlagen zur Versorgung großer Städte – Anlagen, die den Wasserbedarf decken, aber auch der Wasserverschmutzung durch die moderne Zivilisation entgegenwirken.

 

Unsere Methoden des Wassertransports über lange Strecken haben sich seit der Antike verbessert, wir setzen nun auf Leitungssysteme und Rohrfernleitungen, um Wasser auf große Gebiete zu verteilen. Staudämme von enormer Größe schützen uns vor den Folgen schwerer Unwetter und generieren mit der Kraft herabstürzenden Wassers exorbitante Mengen an Elektrizität. Mithilfe zunehmend ausgeklügelter Agrarsysteme, die Niederschlags-, Fluss- und Grundwasser nutzen, das häufig aus Tiefen von mehreren hundert Metern heraufgepumpt wird, erzeugen wir Lebensmittel für Milliarden von Menschen. Weiterhin gibt es eine enorme Anzahl von Institutionen, die sich mit Themen rund ums Wasser befassen: von Bewässerungsbehörden, Wasserversorgungsunternehmen und Ressourcenmanager*innen bis hin zu Ingenieur- und Baufirmen sowie Regulierungsinstanzen auf lokaler, staatlicher, nationaler und internationaler Ebene.

 

Diese Fortschritte bringen vielen Menschen einen Nutzen, obwohl sie nicht überall auf der Erde im gleichen Ausmaß zur Wirkung kommen. Außerdem gibt es unerwartete negative Konsequenzen: Die Wasserverschmutzung durch industrielle und menschliche Abfallprodukte ist weit verbreitet und kontaminiert Flüsse, Seen und Meere. Ein ineffizienter und nicht nachhaltiger Einsatz von Wasser in der Landwirtschaft erschöpft unsere Grundwasserreserven und bedroht die zukünftige Produktion. Die übermäßige Inanspruchnahme unserer Wasservorräte schädigt natürliche Ökosysteme; sie bedroht zahlreiche aquatische Lebewesen oder führt sogar zu ihrer Ausrottung. Der menschengemachte Klimawandel verändert die Häufigkeit und Intensität von Extremwetterereignissen wie Fluten und Dürren (S. 115, Abb. 2). Wasserarmut – das Unvermögen, Grundbedürfnisse wie die Versorgung mit unbedenklichem Wasser und sanitären Einrichtungen für alle zu erfüllen – ist weit verbreitet; das grundlegende Menschenrecht auf Wasser ist für Milliarden von Menschen nicht gewährleistet.

 

Das Problem der Wasserarmut bietet vielleicht am deutlichsten Anlass, den Mut zu verlieren. Obwohl ausgeklügelte Technologien existieren und ausreichend Geld vorhanden ist, um alle Menschen mit sauberem Wasser zu versorgen, schätzen die Vereinten Nationen, dass mehr als drei Milliarden Menschen ohne zufriedenstellende Sanitärversorgung leben und ungefähr zwei Milliarden keinen Zugang zu unbedenklichem und bezahlbarem Trinkwasser haben. Im Jahr 2010 haben die Vereinten Nationen das Recht auf Zugang zu sauberem Wasser in die Erklärung der Menschenrechte aufgenommen.[4] Trotz der Deklaration sind diese Ansprüche für eine extrem große Anzahl von Menschen noch nicht garantiert. Dieses Versagen führt zu einem Großteil des Elends, das mit Armut in Zusammenhang steht: Krankheit, Arbeitslosigkeit, Unterbeschäftigung, Mangel an Bildung (insbesondere bei Frauen und Mädchen), gesellschaftliche und politische Unruhen sowie wirtschaftlicher Stillstand. Ich habe die Slums von Kibera in Kenia, palästinensische Siedlungen im Westjordanland und im Gazastreifen sowie Townships in Südafrika besucht; diese Orte sind alle von starker Wasserarmut betroffen. Ihre Probleme sind nicht in Geldmangel oder der Notwendigkeit neuer Technologien begründet; vielmehr lassen sie sich auf soziales und institutionelles Versagen zurückführen, infolgedessen die für die Behebung der Wasserarmut benötigten Mittel nicht bereitgestellt werden.

 

Die Nutzung von Süßwasser durch die Menschen trägt ebenfalls in größerem Umfang zu dem breiten Spektrum von Umweltproblemen bei, mit denen die Gesellschaft konfrontiert ist. Die übermäßige Entnahme aus Flüssen und Seen entzieht aquatischen Ökosystemen das Wasser, das sie für ihr Überleben dringend benötigen. Das Stauen von Flüssen zerstört Fischgründe und hält lebenswichtige Nährstoffe und Sedimente zurück, die früher küstennahe Feuchtgebiete und Meere versorgten. Durch unbehandelte menschliche und industrielle Abfallprodukte, Pestizide und Herbizide, Siedlungsabfälle und Kunststoffe verschmutzte Abwässer gelangen in die Gewässer der Welt und töten Wasserorganismen. Alles in allem betrachtet, sind aquatische Systeme und ihre Arten weltweit am stärksten gefährdet. Süßwasser-Ökosysteme nehmen weniger als ein Prozent der Landoberflächen ein, sind aber erstaunlich produktiv und ernähren Hunderttausende von Arten – Fische, Insekten, Pflanzen, Tiere und Mollusken. Der Living Planet Index des World Wildlife Funds (WWF),[5] der die Gesundheit und den Zustand von Süßwasser-Ökosystemen erfasst, verzeichnet jedoch einen Rückgang der Bestände um 83 Prozent seit 1970, Süßwasserfische haben unter den Wirbeltieren die höchste Extinktionsrate. Mehr als ein Drittel aller Feuchtgebiete (S. 117, Abb. 3) sind im Laufe des letzten halben Jahrhunderts zerstört worden und einige Flüsse versiegen, weil die Menschen ihnen zu viel Wasser entnehmen.

 

Wir konnten in letzter Zeit außerdem eine bedeutende Zunahme an Gewalt beobachten, die mit der Wasserproblematik in Zusammenhang steht. Die Water Conflict Chronology des Pacific Institute[6] verzeichnet in den letzten beiden Jahrzehnten einen deutlichen Anstieg von Konflikten, für die Wasser einen Auslöser, ein Ziel oder eine Waffe darstellte. Die Gewalt hat im Mittleren Osten, in Nordafrika, der Ukraine und in Südasien stark zugenommen, da Wasser knapper geworden ist, Dispute über Land und Wasser eskaliert sind und Länder fortwährend über Gewässer streiten, die politische Grenzen queren. Zudem ließ sich in den Kriegen auf der Welt eine deutliche Zunahme von Attacken auf zivile Wasserinfrastrukturen feststellen – hierbei handelt es sich um direkte Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht.

 

Unsere gesamten Wasserprobleme werden nun durch den menschengemachten Klimawandel verschärft. Da wir weiterhin klimaverändernde Gase wie Kohlendioxid, Methan und Stickstoffoxide in die Atmosphäre entlassen, hat sich das Klima in komplexer Weise verändert, und diese Veränderungen vollziehen sich mit wachsender Geschwindigkeit. Viele der schwerwiegendsten Auswirkungen betreffen den Wasserkreislauf und die Süßwasservorräte. Steigende Temperaturen bedeuten mehr Energie für Stürme und eine stärkere Verdunstung von Wasser in die Atmosphäre, was in manchen Regionen die Wasserknappheit verstärkt. Niederschlagsereignisse nehmen vielerorts an Intensität zu, schwere Trockenperioden werden gravierender und dauern länger. Steigende Meeresspiegel kontaminieren Frischwasserschichten und Marschen in Küstennähe. Hurrikane werden stärker und sind mit extremeren Regenereignissen verbunden, die wiederum Überschwemmungen verursachen, zu Todesfällen führen und die Infrastruktur beschädigen. Wenn man sich den Klimawandel als Hai vorstellt – so heißt es unter den Klimaschützer*innen –, dann sind die Wasserressourcen die Zähne, denn sie verursachen die meisten Schäden, und diese Schäden nehmen bereits gravierende Ausmaße an.

 

Bei der Verwaltung und Nutzung unserer Wasservorräte sind schnelle und tiefgreifende Veränderungen nötig, wenn wir uns noch irgendeine Hoffnung auf eine Lösung dieser Probleme und eine nachhaltigere Zukunft bewahren wollen. Ich glaube, dass solche Veränderungen möglich sind. Ich glaube, dass wir uns gerade in einem Übergang befinden und eine Verlagerung erleben – weg von den derzeitigen Krisen und Herausforderungen und hin zu einer positiveren Zukunft. An verschiedenen Orten werden zahlreiche Lösungen für unsere Wasserprobleme entwickelt und genutzt, in kleinen Einzelbestrebungen oder im wachsenden Engagement von Gemeinden, Innovator*innen und der Industrie. Schnellere und weitreichendere Anstrengungen sind notwendig, damit erfolgreiche Lösungen identifiziert und Größe und Umfang ihrer Anwendung ausgeweitet werden können. Dazu sollten wir jene Regionen in den Blick nehmen, in denen die Wasserprobleme am stärksten sind, denn die dortigen Gemeinden haben begonnen, sich zu verändern, ihr Verhalten sowie ihre Technologien und Institutionen anzupassen und zu modifizieren. Wir müssen wieder lernen, innerhalb der Beschränkungen durch die Natur zu leben, uns unserer Beziehungen zum Wasserkreislauf bewusster zu werden und auf die Erfahrungen früherer Gesellschaften zurückzugreifen, die diese Zwänge verstanden und überwanden. Es ist immer schwierig, wenn sich der Wandel nur langsam und schrittweise vollzieht, aber mit der Zeit werden die Veränderungen sichtbar, vergleichbar mit der langsamen Bewegung der Sterne über den Himmel oder dem Wachsen eines Baumstamms, das von einer Jahreszeit zur nächsten Ring für Ring erfolgt.

 

Wir wissen, wie wir sauberes Wasser und Sanitäreinrichtungen für alle zur Verfügung stellen können; es werden keine neuen Technologien benötigt. Nötig ist aber, schnell wachsenden Großstädten Informationen sowie finanzielle und technische Unterstützung für Investitionen in die Infrastruktur zur Verfügung zu stellen und in angemessenem Umfang auch ländliche und kleine Gemeinden zu fördern. Die derzeitige Zielsetzung der Vereinten Nationen im Rahmen der United Nations’ Sustainable Development Goals, der Ziele für nachhaltige Entwicklung, ist die Versorgung aller Menschen mit sauberem Wasser und Sanitäranlagen bis zum Jahr 2030.[7] Und während die Verwirklichung aktuell unwahrscheinlich zu sein scheint, könnte weitaus mehr getan werden, um das Vorhaben zu beschleunigen.

 

Die ökologischen Versäumnisse des 20. Jahrhunderts werden langsam in Angriff genommen. Dafür steht etwa die Rückführung von Wasser in aquatische Ökosysteme, der Rückbau umweltschädlicher Staudämme, die Flüsse und Fischvorkommen zerstören, die Reduzierung der Wasserverschmutzung, die unsere Wasserläufe und Wasservorräte kontaminiert, und der Schutz gefährdeter Arten. In den USA sind bereits über 1.000 alte Stauwerke abgetragen worden und weitere größere Projekte zum Abbau von Dämmen – wie die vor Kurzem erfolgte Demontage von vier größeren Stauwerken am Klamath River in Oregon und Kalifornien[8] – zeigen, dass Flüsse und Fischbestände sich erholen können. Innerhalb weniger Monate nach der Entfernung des letzten Damms ließen sich bereits Lachse beobachten, die oberhalb der Baustellen laichten.

 

Es werden zunehmend Rufe laut, Strategien zur Reduzierung von Gewalttaten in Zusammenhang mit dem Wasser mehr Aufmerksamkeit zu schenken, also Streitigkeiten über Wasserrechte zu schlichten, auf diplomatische Lösungen für Wasserkonflikte zwischen Staaten zu drängen, internationalen Gesetzen Geltung zu verschaffen, die zivile Wassersysteme vor kriegerischen Angriffen schützen, und Resilienz gegenüber Überflutungen und Trockenperioden aufzubauen, die die Ökonomie erschüttern und Leben und Lebensgrundlagen vernichten.

 

Mit zunehmender Verschärfung der Klimakrise ist es unerlässlich, die Emissionen klimaschädlicher Gase zu reduzieren und die Maßnahmen gegen Extremwetterereignisse auszubauen, insbesondere gegen Überschwemmungen und Dürren. Wir müssen die Kohleverbrennung so schnell wie möglich einstellen und es zugleich ärmeren Staaten ermöglichen, alternative Energiequellen zu nutzen. Viele der hier anzuwendenden Strategien sind auch aus anderen Gründen sinnvoll und die volkswirtschaftlichen Kosten, um die Bedrohungen durch den Klimawandel zu reduzieren, sind weitaus niedriger als die Kosten, die bei Untätigkeit anfallen würden.

 

Ich nenne die umfassenden Maßnahmen zur Verbesserung unserer Wassersituation „den sanften Weg für das Wasser“. Dieser Weg unterscheidet sich von älteren Ansätzen zur Verwaltung unseres Wasserbedarfs, die sich auf die Einrichtung einer rigiden, kapitalintensiven und zentralisierten Infrastruktur – etwa Stauwerke, große Wasseraufbereitungsanlagen und einseitig ausgerichtete, starre Institutionen – konzentrierten.

 

Ein Schlüsselelement des sanften Weges besteht darin, sich von der Vorstellung zu lösen, dass immer größere Wasservorräte benötigt würden; vielmehr gilt es, die Wassernutzungseffizienz zu steigern. Es ist eindeutig belegt, dass entsprechende Maßnahmen und ein Überdenken des Wasserbedarfs weitaus kostengünstiger und schneller umzusetzen sind, als – auf Kosten der Umwelt – nach immer neuen Versorgungsquellen zu suchen. Massive Verbesserungen der Wassernutzungseffizienz lassen sich tatsächlich in allen Bereichen verwirklichen. Wir haben bereits damit begonnen, größere Nahrungsmittelmengen mithilfe verbesserter Bewässerungssysteme, Fernmessung und -überwachung sowie einer umsichtigeren Wasserverwendung anzubauen. Viele Wirtschaftszweige produzieren mehr Waren und Dienstleistungen mit weniger Wasser als noch vor einigen Jahrzehnten. Unsere Häuser und Wohnungen können mit effizienteren Geräten und intelligenten Anwendungen ausgestattet werden, die undichte Stellen schnell erkennen. In Trockengebieten gibt es Bemühungen, wasserintensive Landschaftsgestaltung durch Gärten mit geringem Wasserverbrauch zu ersetzen. In den USA und vielen europäischen Staaten beginnt der Wasserverbrauch pro Person oder pro Wirtschaftsleistungseinheit zu sinken – ein klarer Beweis für die Verbesserung der Produktivität bei der Wassernutzung.

 

Der sanfte Weg macht auch neue Wasserressourcen ausfindig, ohne der Umwelt „neues“ Wasser zu entnehmen. Insbesondere gibt es zunehmend Bemühungen, die moderne Abwasserreinigung weiter zu verbessern und Wasser direkt wiederzuverwenden. Staaten wie Singapur, Israel und Kalifornien in den USA nutzen in zunehmendem Maße eine hochwertige Abwasseraufbereitung, um die Wiederverwendung von Wasser zu fördern. Es gibt tatsächlich bereits eine Technologie, mit der sich Reinstwasser aus hoch verschmutzten Quellen gewinnen und immer wieder verwenden lässt. An Orten, an denen Wasser bereits effizient genutzt und sorgfältig wiederaufbereitet wird, bietet sich die Möglichkeit, Brack- oder Meerwasser zu entsalzen. Dieses Verfahren ist im Vergleich mit fast allen Alternativen kostspielig, kann aber in manchen Fällen zur Erweiterung der Wasserversorgung sehr nützlich sein.

 

Ein anderes Charakteristikum des alten „harten“ Weges für das Wasser war die Entwicklung von einseitig spezialisierten Institutionen für das Wassermanagement, oft in Form von großen Energieversorgungsunternehmen, Bewässerungsdistrikten oder Ministerien. Da Wasser aber eine wichtige Rolle für die Produktion von Nahrungsmitteln und Energie, die industrielle Entwicklung, die Gesundheit des Ökosystems und viele andere Bedürfnisse der Gesellschaft spielt, muss unsere Wasserwirtschaft interdisziplinär, flexibel und reaktionsschnell sein, nicht langsam und ineffizient. Um den Übergang zum sanften Weg für das Wasser zu ebnen, müssen neue institutionelle Strukturen geschaffen oder existierende Institutionen optimiert werden. Ein wichtiges Beispiel hierfür ist die enge Verbindung zwischen Energie und Wasser: Wasser wird für die Produktion von Energie benötigt, und Energie ist für die Gewinnung, Aufbereitung, Verteilung und die Nutzung von Wasser erforderlich. Üblicherweise werden Energie und Wasser jedoch separat und isoliert verwaltet. So wird die Gelegenheit verpasst, integrierte Lösungen zu finden, die dem Schutz beider Ressourcen dienen könnten. Durch solche Lösungen ließen sich der Energiebedarf der Wassersysteme wie auch die Wassermenge reduzieren, die für die Energieproduktion benötigt werden.

 

Wirtschaftliches Umdenken ist ein weiterer Schlüssel zur Verbesserung des Managements und der Nutzung von Wasser. Oft ist Wasser zu billig. Die ökologischen Kosten unserer Wassernutzung werden selten beziffert oder in ökonomische Entscheidungen über Wasserinvestitionen und Wasserpolitik einbezogen. Es ist an der Zeit, kontraproduktive Subventionen für schlechte Entscheidungen im Wassermanagement zu beenden und die Konzepte einer umweltorientierten Ökonomie anzuwenden, die ökologische Aspekte, die Auswirkungen auf kommende Generationen sowie Werte berücksichtigt, die nicht immer traditionellen Vorstellungen folgen.

 

Wir leben auf einem Wasserplaneten, der die Heimat der einzigen bekannten Lebensform des Universums ist. Das Leben begann in den reichen Gewässern unserer Welt und wir haben immer noch Spuren unserer aquatischen Ursprünge in unserer eigenen, uns definierenden DNA. Wasser und Leben sind jedoch noch enger miteinander verknüpft. Die Meere hauchten der Atmosphäre Leben ein, schufen den Sauerstoff, der uns am Leben hält, und den Ozonschild, der uns vor der Sonneneinstrahlung schützt. Diese Bedingungen erlauben es dem Wasser – und uns – fortzubestehen und zu prosperieren.

 

Es wäre eine Schande, wenn die Menschheit – nachdem sie Intelligenz entwickelt, große Kulturen und Zivilisationen hervorgebracht und ein weitreichendes Verständnis des Universums und des Wunders des Wassers entwickelt hat –, daran scheitern würde, diese Intelligenz zum Schutz der wichtigsten Ressource einzusetzen. Es ist Zeit für neue Geschichten, neue Narrative und ein neues Denken über Wasserversorgung und Wasserbedarf, die Gestaltung unserer Gemeinden, ökonomische Ansätze und technologische Innovationen. Nach meiner Überzeugung können wir den Übergang von den heutigen Wasserkrisen in eine nachhaltigere, gleichberechtigtere und gerechtere Welt beschleunigen, wenn wir uns auf unterschiedlichen Ebenen unserer Gesellschaft für ein größeres Engagement und entschlossenes Handeln einsetzen. Eine positive Zukunft ist möglich, setzt jedoch voraus, dass wir schneller auf dem sanften Weg für das Wasser schneller voranschreiten, statt nur schrittweise Veränderungen an der erfolglosen Politik der Vergangenheit vorzunehmen. Die innovativen Bemühungen von Menschen auf der ganzen Welt zeigen uns, dass ein neues Zeitalter des Wassers möglich ist. Beeilen wir uns, dorthin zu kommen.

 

 

[1] Zitiert von James Lovelock einleitend zum 6. Kapitel „Das Meer“, in: James Lovelock, Unsere Erde wird überleben. Gaia – eine optimistische Ökologie, München 1982.

[2] Richardson B. Gill u. a., „Drought and the Maya Collapse“, in: Ancient Mesoamerica 18, 2007, Nr. 2, S. 283–302.

[3] Peter Gleick, The Three Ages of Water: Prehistoric Past, Imperiled Present, and a Hope for the Future, New York 2023.

[4] United Nations, „Human Rights to Water and Sanitation“, online: https://www.unwater.org/water-facts/human-rights-water-and-sanitation [19.02.2025], vgl. https://www.menschenrechtsabkommen.de/recht-auf-sauberes-wasser-1122/ [19.02.2025].

[5] World Wildlife Fund, „Living Plant Index for Migratory Freshwater Fishes“, Update von 2024, online: https://www.worldwildlife.org/publications/2024-living-planet-index-update-for-migratory-freshwater-fishes [19.02.2025], vgl. die deutsche Kurzfassung, online: https://www.wwf.de/fileadmin/fm-wwf/Publikationen-PDF/WWF/WWF-lpr-living-planet-report-2022-kurzfassung.pdf [19.02.2025].

[6] Pacific Institute, „Water Conflict Chronology“, online: https://pacinst.org/water-conflict-chronology/ [19.02.2025].

[7] United Nations, Sustainable Development Goals, „Goal 6: Ensure access to water and sanitation for all“, online: https://www.un.org/sustainabledevelopment/water-and-sanitation/ [19.02.2025].

[8] Governor Gavin Newsom, „News: Klamath River dams fully removed ahead of schedule“, 2. Oktober 2024, online: https://www.gov.ca.gov/2024/10/02/klamath-river-dams-fully-removed-ahead-of-schedule/ [19.02.2025].