Pitch Drop, 2016

Bitumen, stainless steel, borosilicate glass

Das am längsten andauernde, immer noch aktive Experiment in der Geschichte der Wissenschaft nahm seinen Anfang im Jahr 1930, in einem Labor in Queensland, Australien. Initiiert vom Physiker Thomas Parnell sollte das Pitch-Drop- oder Pechtropfen-Experiment die Fliessfähigkeit von Pech demonstrieren – einem äusserst viskosen Stoff, der auf Erdöl beruht. Obwohl es bei tagtäglicher Beobachtung fest und steinartig erscheint, verhält es sich über die Jahre wie eine Flüssigkeit. Unter Aneignung der technischen Voraussetzungen dieses in Zeitlupe ablaufenden Spektakels verändert sich auch Julian Charrières performative Skulptur und tropft erwartungsgemäss nur etwa alle zehn Jahre. Pitch Drop ähnelt dem Prinzip der Klepsydra, einer antiken Wasseruhr, wobei das Wasser durch Pech ersetzt wurde. Die Arbeit erinnert daran, wie wichtig Flüssigkeiten für die ersten Versuche des Menschen waren, die Zeit zu messen – als der stetige Fluss des Wassers die Grundlage für das Ablesen von Zeit bildete. Mit einer Gesamtmenge von 1000 Einzeltropfen umfasst Pitch Drop einen symbolischen Zeitrahmen von 10 000 Jahren. Als zeitbasiertes Kunstwerk, das sich im Massstab von Jahrhunderten abspielt, steht es auch allegorisch für die Tiefsee – als sich verändernde Schwelle, an der sich Feststoffe und Flüssigkeiten vermischen, geschmolzenes Gestein zu einer neuen Kruste abkühlt, Mineralien in der Hitze hydrothermaler Schlote kristallisieren und uralte organische Materie sich in Erdöl transformiert und durch Risse im Meeresboden sickert. Zwar statisch, aber dennoch phantasmagorisch, verweist die Arbeit auf geologische Zeitrahmen jenseits der menschlichen Lebensspanne.