Taro Izumi, Cloud (goodbye), 2020 Installationsansicht «Taro Izumi. ex»; Bleistifte, Bleistiftstaub, Radierstaub, Holzpisten, Video © 2020, Museum Tinguely; Foto: Gina Folly

Taro Izumi. ex
Museum Tinguely, 2. September – 15. November 2020

Unsere grosse Herbstausstellung lädt dieses Jahr zum Eintauchen in die wundersame und schalkhafte Welt des japanischen Künstlers Taro Izumi (*1976, Nara) ein. Izumi hat ein einzigartiges kreatives Universum geschaffen, ein organisches Ökosystem, das sich keiner etablierten Kunstgattung zuordnen lässt. Seine Ausstellungen lassen Skulptur, Installation, Performance und Videokunst miteinander verschmelzen: Eine Skulptur wird zu einer Installation, die ihrerseits als Kulisse für eine Performance dient, die wiederum auf zahlreichen Bildschirmen zu sehen ist. Die von Izumi verwendeten Materialien – wie Holz, Textilien, Pflanzen, Pelz oder auch Möbel und allerlei rezyklierte Elemente – verbinden sich zu «auf den ersten Blick zusammengeschusterten», tatsächlich aber präzise arrangierten Konstruktionen, die gleichermassen Ergebnis modernster Technologie und ausgiebiger Reflexion als auch spontaner Energie und einer gewissen Unmittelbarkeit sind.

 

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Taro Izumi ist ein Meister der Gegensätze, der Absurdes und Zufälliges auf spielerische und humorvolle Weise in seine Arbeit integriert. Im Museum Tinguely präsentiert er einen Parcours voller Trugbilder und optischer Illusionen: Ein Theater ohne Publikum, Zoom-Meetings zwischen reellen und digitalen Museumsbesuchern und -besucherinnen, unsichtbare Werke oder in der Luft schwebende Staubsaugerroboter. Izumi kreiert, oftmals surrealistische, Paarungen antagonistischer Objekte, deren Sinn zuweilen geheimnisvoll bleibt. Im Zusammenspiel spiegeln diese Objekte die Absurditäten unseres Alltags wider und erzählen uns vom sanften Chaos der Welt von heute.


 

Taro Izumi, Tickled in a dream … maybe? (The cloud fell), 2017; Installationsansicht «Taro Izumi. ex»; Mischtechnik © 2020, Museum Tinguely; Foto: Gina Folly



Die Serie Tickled in a dream ... maybe? steht sinnbildlich für den absurden und schelmischen Geist, der sich durch Taro Izumis gesamtes Werk zieht. Mit dieser Reihe von ineinandergreifenden Skulpturen und Videos erfand der Künstler Strukturen, die sich aus alltäglichen Elementen – Stühlen, Tischen, Hockern, Kissen – zusammensetzen und die Möglichkeit bieten, die Position eines sich bewegenden Körpers zu reproduzieren und aufzunehmen. Das Werk basiert auf Fotos von Sportlern – hauptsächlich von Fussballspielern –, die in voller akrobatischer Aktion fotografiert wurden.

 

Zwischen Möbel und Prothese, Sockel und Skulptur nehmen diese architektonischen Konstrukte mit ihrem zusammengebastelten Aussehen vielfältige Formen an, die – sowohl gestalterisch als auch konzeptionell – an die interaktiven Werke von Jean Tinguely und an dessen bastelnden und schelmischen Geist erinnern. Hier versucht Taro Izumi, das Flüchtige festzuhalten: Bewegung, Zeit und Schwerkraft.

Cloud (pillow / raised-floor storehouse), 2020

Für diese Arbeit ging Taro Izumi von der Prämisse aus, dass Theater weltweit – Veranstaltungsorte für die darstellenden Künste und für große öffentliche Versammlungen – am stärksten von den Restriktionen infolge der Covid-19-Pandemie betroffen sind: Zur Untätigkeit gezwungen, können sie weder ihr Publikum empfangen noch ihre Aufführungen präsentieren. Izumi schlägt mit diesem Werk vor, das Schweigen, zu dem sie gezwungen sind, hörbar zu machen. Indem er Klänge aus einer Vielzahl von leeren Theatern auf der ganzen Welt sammelte, schuf Izumi eine Klanginstallation, die sich aus weißem Rauschen zusammensetzt. Im Einklang vibrierend, wird diese Stille, die im Herzen von Orten eingefangen wurde, die normalerweise der Musik und der Sprache gewidmet sind, zur greifbaren – und doch äußerst kleinen – Spur ihrer Existenz. Die Leere, die zum Geräusch, die Abwesenheit, die zur Musik wird, erinnern uns an John Cages berühmtes 4’33 (1952), ein Werk, in dem die Stille zur Klangmaterie wird.

«I Can See Solaris»

 


 

In der gesamten Ausstellung verteilt, treffen die Besucherinnen und Besucher auf sechzehn Billardbälle in sechzehn verschiedenen Farben. Doch die Farbigkeit und Fröhlichkeit dieser Objekte täuschen. Die Bälle werden nicht wegrollen, werden sich nicht bewegen. Sie sind gefangen, geschützt oder eingesperrt in engen, transparenten Plexiglaskästchen und spiegeln das Gefühl wider, durch eine durchsichtige Scheibe abgeschottet vom Weltgeschehen zu sein, alles sehen zu können und dennoch immobil bleiben zu müssen. Ein Gefühl, welches ein wesentlicher Teil der Menschheit während der Covid-19-Pandemie kennenlernen musste. Die Sinnesentfremdung, die so typisch für Taro Izumis Oeuvre ist, wird begleitet von einem überaus sinnlichen Titel: licking the air, die Luft lecken. Die Angst, die mit der globalen Pandemie einhergeht, liegt in der Luft: Berührungen, Speichel – gefährlich und verpönt. Der Ball würde nur allzu gerne an die frische Luft.

 

Taro Izumi, Cloud (licking the air), 2020; Installationsansicht «Taro Izumi. ex»; Billardbälle, Plexiglaskästchen © 2020, Museum Tinguely; Foto: Gina Folly