@G Einzelne Interventionen von Künstlerinnen und Künstlern

Gauri Gill
Aus Untitled from Traces, 1999 – ongoing
Copyright Gauri Gill
Gauri Gill. On Seeing, 2020
Künstlergespräch für das Berkeley Art Museum – Pacific Film Archive (BAMPFA)
Gauri Gill stellt mit diesem Gespräch ihre künstlerische Arbeit in Rajasthan seit 1999 vor. Damit blicken wir zurück auf die Ausstellung Traces, mit der das Museum Tinguely 2018 zwei wichtige Werkgruppen der Künstlerin vorgestellt hat.
Seit 1999 verbringt die indische Fotografin Gauri Gill (geb. 1970 in Chandigarh, lebt in Neu Delhi) viel Zeit bei marginalisierten ländlichen Bevölkerungsgruppen in der Wüste West-Rajasthans. Traces ist eine der Fotoserien, die aus ihrem umfassenden Fotoarchiv Notes from the Desert entstanden ist. Es sind fotografische Porträts von Grabstätten, die sie zusammen mit deren Angehörigen oder Freunden besucht hat und die ohne Hinweise kaum erkennbar sind. Sie sind als physische Orte der Erinnerung inmitten der Wüstenlandschaft ebenso dem Werden und Vergehen ausgesetzt, wie es die dort Begrabenen waren und sind. Die Markierungen in der Landschaft versammeln auf einem Sandhügel (mit Zeichen versehene) Steine, Tonscherben oder persönliche Gegenstände. In grösster Bescheidenheit wird ein Ort gekennzeichnet, Erinnerung gepflegt.
Eine zweite Serie, die Birth Series, acht Fotografien in kleinem Format, zeigen mit derselben Empathie und Sachlichkeit das Werden als Gegenpol zum Vergehen – eine Geburt: Gills Freundschaft mit der Hebamme und Feministin Kasumbi Dai ermöglichte ihr, der Entbindung von deren Enkeltochter beizuwohnen. Der erste Kontakt des kleinen Mädchens mit der Welt ist die sandige Erde der Behausung. Bei aller ‹Natürlichkeit› und Einfachheit wohnt dem Ereignis der Geburt eine feierliche, fast meditative Komponente inne, wie sie sich im faltenüberzogenen, lebenserfüllten Gesicht Dais ausdrückt.


Nadine Cueni, des hirondelles, 2019
19’54 Min., FHD-Video, 16:9, Farbe mit Ton, französisch mit deutschen Untertiteln
2019 Museum Tinguely, Basel; © Nadine Cueni
Nadine Cueni
des hirondelles, 2019
Videoinstallation, französisch mit deutschen Untertiteln, 19’54 Min.
des hirondelles («Von Schwalben», 2019) ist ein Film über die Suche nach einem Ort, der nicht mehr existiert. Ein Film über Erinnerungen und Erzählungen, eine poetische Annäherung an ein tragisches Ereignis, an die Menschen und ihre Geschichten.
Am 23. August 1986 schlägt ein Blitz in den Bauernhof der Familie Dafflon in Neyruz ein, kurz nach dem Einbringen der hochsommerlichen Heuernte. In einem totalen, verheerenden Brand wird der Hof in Schutt und Asche gelegt und brennt bis auf die Grundmauern nieder. Das tragische Ereignis verändert das Leben der Familie nachhaltig und bietet Jean Tinguely, der sich in seinem nahegelegenen Wohn- und Atelierhaus von einer schweren Herzoperation erholt, Inspiration für sein spätes Hauptwerk Mengele-Totentanz (1986).
Die Künstlerin Nadine Cueni (*1976, lebt in Riehen) hat sich auf Einladung des Museum Tinguely aufgemacht, um am Ort des Geschehens Geschichten und Eindrücke zu sammeln. Sie erinnern an die Biografie des zerstörten Bauernhofes als ‹oral history›. Sie atmen in den Bildern von heute aber auch etwas Spezifisches des Ortes, der seinen Rhythmus des Lebens in den letzten 30 Jahren nur wenig verändert hat.
Der Film rund um Tinguelys Mengele-Totentanz wurde im Kontext der Ausstellung mit «Lois Weinberger – Debris Field» (17. April bis 1. September 2019) gezeigt, die eine Spurensuche im elterlichen Bauernhaus zum Thema hat.
Skript: Nadine Cueni
Film/Schnitt: Marina Fehr, Nadine Cueni
Audio: Robin Michel, Nadine Cueni
Roth Bar
at Tinguely
Basel, 2019-2020
by Dieter Roth/Björn Roth/Oddur Roth/Einar Roth/Bjarni Grimsson
Bis November 2020 präsentierte das Museum Tinguely die aussergewöhnliche Roth Bar.
Die von Dieter Roth und seinem Sohn Björn ab den frühen 1980ern konzipierten Bars, sind dynamische, sich verändernde Installationen, die gleichzeitig ein beständiges Element der generationenübergreifenden Praxis der Roths darstellen. Die aus zusammengesuchten Materialien gebaute Bar figuriert als zentrales Motiv in Dieter Roths Werk. Die Roth Bar wurde seit 2005 in verschiedenen Ausstellungen gezeigt und betrieben, zuletzt 2015 in Zürich und anschliessend im Hotel Les Trois Rois (Basel).
Courtesy Dieter Roth Estate and Hauser & Wirth.
Die Roth Bar stand für exklusive Abendanlässe zur Verfügung: mit Drinks, Food und Führung durch Museum und Ausstellung, für Gruppen von 20 bis 40 Personen. Die Bar wurde vom Bistroteam Chez Jeannot betrieben.

Nevin Aladağ
Traces, 2015
13. Juni -17. September 2017
Dreikanal-HD-Videoinstallation, Farbe, Ton, 6’03’’
Nevin Aladağs Videoinstallation Traces entstand 2015 in Stuttgart, der Stadt, in der sie aufgewachsen ist. Sie verwendet Musikinstrumente, wie sie auch von lokalen (Strassen-)Musikern verwendet werden, um den Stadtraum – Spielplätze, Ausflugsziele und zentrale Orte der Begegnung und der Geschäftigkeit – zum Klingen zu bringen. Ihr Orchester besteht allerdings nicht aus Menschen, sondern aus Mobiliar, Textur und Struktur der Stadt, die Bewegung und Interaktion unter Mithilfe des Zufalls steuern, um Musik und Klang zu erzeugen. Das Festgefügte der Stadtarchitektur trifft sich mit dem Ephemeren, Fluiden aber auch Verbindenden von Klang und Musik über den abwesenden und doch präsenten Körper zu einer sorgfältig choreografierten visuellen und musikalischen Komposition.
Aladağ (*1972) verbrachte ihre Kinder- und Jugendjahre in Stuttgart. Ihr Studium der Bildhauerei schloss sie 2000 an der Akademie der Bildenden Künste in München ab. Heute lebt und arbeitet sie in Berlin. Sie verbindet die Auseinandersetzung mit kulturellen Identitäten und Ausdrucksformen, den öffentlichen Raum des Sozialen und Politischen, aber auch ein besonderes Interesse an Tanz und Musik zu offenen, vielschichtig lesbaren Werken in unterschiedlichen Medien.